Auch den Tag zurückerobern

250 Leute bei der Walpurgisnacht-Demo gegen sexualisierte Gewalt

Traditionell werden in der Nacht auf den ersten Mai die bösen Geister vertrieben. Leider kein Gespenst, sondern noch immer Realität ist die sexualisierte Gewalt, gegen die rund 250 Menschen am Samstagabend auf die Tübinger Straßen gingen.

01.05.2016

Von Miriam Watson

Frauen demonstrieren in Tübingen auf der Eberhardsbrücke gegen Sexismus und Gewalt. Bild: Faden

Frauen demonstrieren in Tübingen auf der Eberhardsbrücke gegen Sexismus und Gewalt. Bild: Faden

Tübingen. „Ein Nein muss reichen, um den Willen gegen eine sexuelle Handlung auszudrücken“, sagte Käthe Hientz, Geschäftsführerin des Bildungszentrums und Archivs zur Frauengeschichte Baden-Württembergs, bei ihrer Eröffnungsrede zur Walpurgisnacht-Demo am Samstag.

Ein Aktionsbündnis aus verschiedenen Initiativen und Einzelpersonen hatte die Demonstration organisiert, die in der Tradition der Walpurgisnacht-Demos der 1970er-Jahre unter dem Motto stand: „Wir erobern uns die Nacht zurück“. Während damals aber nur Frauen auf die Straße gingen, waren am Samstag Menschen beider Geschlechter geladen.

In der Eröffnungsrede forderte Hientz eine „echte und nicht nur eine pseudomäßige Reformierung des Paragraph 177, der Vergewaltigung bisher praktisch straffrei macht“. Micha Schöler, Sozialpädagogin und Beraterin bei „Frauen helfen Frauen“ sagte: „Leider ist es auch im neuen Entwurf des Gesetztes nach wie vor so, dass die Verurteilung bei Vergewaltigung vom Verhalten des Opfers abhängt“. Damit die Tat vor Gericht verurteilt werden kann, muss das Opfer sich zur Wehr setzen; es reicht nicht aus, „Nein“ gesagt zu haben.

„Nein heißt Nein“ skandierend und ausgestattet mit Rasseln und Reisigbesen, Trommeln und Trillerpfeifen, zogen die rund 250 Demonstrierenden von der Karlstraße in den Alten Botanischen Garten. Einen Zwischenstopp gab es auf dem Holzmarkt: Dort wurde der Kurzfilm „Superheldin gegen Gewalt“ gezeigt, der auf die Arbeit von Frauenberatungsstellen und -notrufen aufmerksam macht.

   Im Botanischen Garten fand die Abschlusskundgebung statt. In einer Rede von Aktivist(inn)en der Frauengruppe „Zumutung“ und der Interventionstischen Linken hieß es: „Wir wollen uns nicht nur die Nacht zurückerobern, sondern auch den Tag.“ Ein Großteil der sexuellen Gewalt würde eben nicht durch Unbekannte ausgeübt, sondern passiere im privaten Umfeld durch Familienangehörige, Partner und Bekannte. Die Redner/innen forderten außerdem, dass sich jede Frau ohne Angst frei bewegen kann – allerdings sei der Ausbau von Überwachungsmaßnahmen nicht die richtige Antwort.

Die Protestierenden wussten genau, weshalb sie gekommen waren: „Demonstrationen wie die heute sind wichtig, damit sexualisierte Gewalt und Sexismus nicht nur vor dem Hintergrund von Massenvorkommnissen wie in Stuttgart oder Köln in den Fokus gerückt werden“, sagte die Studentin Lisa Heiberger. Die Ereignisse der Silvesternacht waren es auch, wegen derer auf einigen Plakaten und Transparenten „Feminismus bleibt antirassistisch“ und „Gegen Sexismus und rassistische Hetze“ zu lesen war.

Mona Ined aus Syrien, die ebenfalls im Botanischen Garten sprach, sagte in ihrer Rede: „Wie der Prophet Mohammed gesagt hat, sollen wir den Frauen Priorität zukommen lassen und sie schützen.“ Die Vorstellung, die in Deutschland von der Stellung der Frau im Islam herrsche, beruhe auf einem falschen Islambild. Im wahren Islam würden die Frauen geschützt und hätten die gleichen Rechte wie die Männer.

Info: Eine Petition an den Bundestag zur Reformierung des Sexualstrafrechts läuft gerade unter www.change.org/neinheisstnein