Kriminalität

66-Jähriger von Müll-Sammler bedrängt

Sperrmüll von der Straße – das reicht den Dreistesten nicht mehr. Sie lauern Bürgern auf und folgen ihnen in ihre Garagen, um Brauchbares zu erbeuten. Zuletzt in Göttelfingen.

27.07.2017

Von Maik Wilke

Sperrmüll auf Brauchbares zu untersuchen, ist bei „Schrott-Sammlern“ üblich. Doch der Müll-Tourismus hat dreistere Formen angenommen. Archivbild: Metz

Sperrmüll auf Brauchbares zu untersuchen, ist bei „Schrott-Sammlern“ üblich. Doch der Müll-Tourismus hat dreistere Formen angenommen. Archivbild: Metz

Erhard Morlok kommt gerade von einem Angelausflug nach Hause in die Göttelfinger Wäschgasse. Er öffnet die Garagentür, trägt die großen Taschen vom Auto hinein und hängt zwei seiner Ruten an die Wand. Als er sich umdreht, steht plötzlich ein Hüne vor ihm. „Da ist mein Puls in die Höhe geschossen“, erzählt Morlok. Der großgewachsene Mann steht mitten in der Garage des Göttelfingers. Er fragt den 66-Jährigen, ob er ihm nicht eine seiner Angelruten schenken möchte. Als Morlok das verweigert, geht alles schnell: Der Unbekannte greift sich die Angeltasche Morloks, der diese aber gerade noch zu packen bekommt und die Tasche zurückzieht. Ein Fahrrad soll dem Dieb nun als Fluchtfahrzeug und Beute dienen, doch als die Ehefrau Morloks vor der Garage erscheint, überlegt der Unbekannte es sich anders. Er rennt auf den Transporter zu, der schon am Straßenrand wartet, setzt sich auf den Beifahrersitz und das Auto rast davon.

Mülltourismus an sich ist keinesfalls eine neue Erscheinung. Dort, wo Sperrmüll abgeholt wird, sehen auch Sammler ihre Chance, sagt Thomas Kalmbach vom Polizeipräsidium Tuttlingen. Fälle, bei denen so dreist vorgegangenen wird wie bei Erhard Morlok, werden allerdings nicht häufig bei den Beamten gemeldet. „Dass diese Sammler mit ihren Transportern durch den Ort fahren und den Müll durchsuchen, ist ein gewohntes Bild“, sagt Kalmbach. „Dass sie aber in eine Garage eintreten und die Betroffenen auch noch ansprechen, das kommt selten vor.“ Der Tatbestand gehe hier von Diebstahl in Hausfriedensbruch über: „Leute, die ohne Erlaubnis auf Privatgrundstücke von anderen gehen, haben dort nichts zu suchen. Ganz einfach.“

Verzicht auf Abfuhren als Lösung

Die Dunkelziffer solcher Fälle dürfte laut Kalmbach deutlich höher liegen, nicht jeder Betroffene zeige diese Vorfälle wie der Göttelfinger Morlok bei der Polizei an – aus Angst vor weiteren Besuchen der Täter. „Die Situation war bedrohlich“, betont der Göttelfinger. „Vor zwanzig Jahren wäre das für mich anders gewesen, aber heute mit 66 habe ich mich definitiv nicht wohl gefühlt.“

Nachdem Morlok dem unbekannten Täter keine Angel geben wollte, fragte der Mann nach Waschmaschinen und anderen Elektrogeräten. Der Transporter zum Einladen, habe bereits bereit gestanden. Die Sammler gehen organisiert vor, fahren bereits mehrere Tage vor dem Abfuhrtermin durch den Ort, spähen mögliche Opfer aus. Vor allem dann, wenn die Sperrmüllabfuhr im öffentlichen Mitteilungsblatt der Gemeinde angekündigt wird. „Einige Landkreise, wie beispielsweise Tuttlingen, verzichten deshalb bereits auf solche Abfuhren“, sagt Kalmbach. Hier müssen kleine Mengen Sperrmüll selbst zum Wertstoffhof gebracht, größere Mengen angemeldet werden. Danach werden diese gebündelt vom Abfallwirtschaftsbetrieb des Landratsamtes abgeholt. Im Kreis Freudenstadt wurde dies bereits von Kreisräten vorgeschlagen, der Landkreis hält jedoch noch am bisherigen System fest.

Spuren fehlen häufig

Für die Polizei sei es sehr schwierig, den Verbrechern auf die Spur zu kommen. Natürlich würden die Beamten auf Hinweise und Anrufe reagieren, doch meistens sind die Transporter dann schon verschwunden, sagt Kalmbach. „Die Diebe haben eine feine Sensorik dafür, wann Gefahr droht. Wenn man da nicht sofort reagiert, ist es oft schon zu spät.“ Fingerabdrücke zu nehmen oder DNA-Tests durchzuführen, sei für den geringen Ertrag viel zu teuer. Doch Erhard Morlok hatte sich sogar das Kennzeichen notiert. Warum also nicht nach dem Transporter fahnden? „Das wird durchaus gemacht“, betont Kalmbach. „Das Problem ist: Wenn nicht wirklich ein Diebstahl vorliegt, der mit objektiven Tatbeständen, also Zeugenaussagen oder eben Spuren wie Fingerabdrücken, nachgewiesen werden kann, werden wir über die Feststellung der Personalien nicht hinauskommen.“

Für Präventionsmaßnahmen fehlt der Polizei häufig die entsprechende Einsatzstärke. In den Orten, in denen eine Sperrmüllabfuhr angekündigt ist, Streife zu fahren, sei gewiss eine Option, sagt Kalmbach. Doch wenn die Polizisten anderweitig eingebunden sind, fehle schlicht das Personal. „Dann muss so etwas eben hinten anstehen.“

In die gleiche Kerbe schlägt auch Erhard Morlok mit seiner Kritik. Die Schuld liege nicht bei der örtlichen Polizei oder der Direktion in Tuttlingen, sondern in Berlin: „Überall wo es um Schutz oder Bildung geht, wie bei der Polizei oder in Schulen, werden Stellen abgebaut. Das kann es doch nicht sein.“ Die Politiker auf Bundesebene müssten reagieren. Ein wenig Hoffnung auf Besserung schöpft der Göttelfinger aber doch: Denn im Hinblick auf die Bundestagswahlen im September seien Sicherheit und Bildung zwei Themen, mit denen man bei den Bürgern punkten könne.

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Erstellt:
27.07.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 15sec
zuletzt aktualisiert: 27.07.2017, 01:00 Uhr

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