Die totale Vernichtung

Ausstellung „Anwalt ohne Recht“ wird am Sonntag im Museum Jüdischer Betsaal in Horb eröffnet

Der Rexinger Synagogenverein zeigt ab Sonntag, 8. Mai, im Jüdischen Betsaal in Horb die Ausstellung „Anwalt ohne Recht – Schicksal jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933“. Die Ausstellung wurde von der Bundesrechtsanwaltskammer in Auftrag gegeben und wandert seit September 2000 durch Deutschland. Sie wurde im europäischen Ausland, in den USA, Kanada und Israel gezeigt. Die Ausstellung erinnert an das Schicksal der von der NS-Diktatur verfolgten Anwälte und Anwältinnen.

04.05.2016

Boykottaktion der SA gegen jüdische Anwälte am 1. April in München.Privatbilder

Boykottaktion der SA gegen jüdische Anwälte am 1. April in München.Privatbilder

Horb. Die Angriffe der NS-Machthaber auf jüdische Rechtsanwälte begannen sofort mit ihrer Machtergreifung im Jahre 1933. Am 1. April 1933 inszenierte die NSDAP eine Boykottaktion gegen Geschäfte mit jüdischen Eigentümern. Gleichzeitig wurde auch dazu aufgerufen, nicht mehr zu jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten zu gehen.

Grundlage der Angriffe des NS-Staats war die rassistische Ausrichtung der ganzen Gesellschaft.

Ergänzung um lokale Forschungen

Am 7. April 1933 wurde das harmlos klingende „Gesetz zur Wiedereinführung des Berufsbeamtentums“ verabschiedet, das davon ausging, dass Juden „rassisch minderwertig“ seien und deshalb nicht als Beamte für Deutschland arbeiten könnten. Wer einen Großelternteil in seiner Familie hatte, der jüdischen Glaubens gewesen war, galt als jüdisch. Der eigene Austritt aus der jüdischen Religion half dabei nichts. Dieses Gesetz wurde auch auf Rechtsanwälte angewendet.

Reichspräsident Hindenburg milderte das Gesetz dadurch ab, dass er von der NS-Regierung verlangte, Beamte und Rechtsanwälte, die schon vor 1914 ihre Zulassung erhalten hatten, die Frontkämpfer im Ersten Weltkriegs gewesen waren oder deren Väter oder Söhne im Ersten Weltkrieg gefallen waren, von dieser Regelung auszunehmen. Dadurch konnten noch einige jüdische Rechtsanwälte ihre Zulassung retten. Wer noch weiter arbeiten durfte, wurde jedoch so unter Druck gesetzt, dass er oft „freiwillig“ aufgeben musste. Gerichte durften keine Gutachten mehr an Anwälte übertragen, die als jüdisch galten. Armenrechtsmandate wurden nicht mehr an jüdische Anwälte vergeben und gemischte Sozietäten von jüdischen und nichtjüdischen Anwälten mussten sich auflösen.

Mit dem „Reichsbürgergesetz“ von 1935 wurde das uneingeschränkte Berufsverbot für Juden im öffentlichen Dienst bestimmt. Für die noch aktiven jüdischen Notare bedeutete das den Verlust der Zulassung.

Spätestens am 30. November 1938 wurden die letzten Ausnahmen aufgehoben und ein allgemeines Berufsverbot für Juden als Rechtsanwälte erlassen. Kurz vor Inkrafttreten des Berufsverbots kam es am 9./10. November 1938 zu reichsweiten Pogromen gegen Juden. Dabei wurden auch Kanzleien jüdischer Anwälte geplündert und verwüstet.

Nach dem allgemeinen Berufsverbot gab es in Deutschland keine jüdischen Anwälte mehr. Die Ausgesonderten konnten sich noch um eine Zulassung als „Konsulenten“ bemühen, denen lediglich die Beratung und Vertretung von Juden gestattet war. In ganz Deutschland wurden lediglich 172 Konsulenten zugelassen.

Die Ausstellung „Anwalt ohne Recht“ zeigt die juristische, wirtschaftliche und schließlich physische Vernichtung jüdischer Anwälte an vielen Einzelschicksalen. Es werden prominente, aber auch weniger bekannte Anwälte porträtiert. Da die Ausstellung an immer neue Orte wandert, wird sie auch immer weiter durch lokale Forschungen ergänzt, so auch in Horb, der 66. Station.

Für die Präsentation im Museum Jüdischer Betsaal Horb wurde vom Rexinger Synagogenverein das Schicksal der Rechtsanwälte Dr. Manfred Scheuer und Dr. Siegfried Gumbel erarbeitet. Beide führten gemeinsame eine Kanzlei in Heilbronn und waren eng verbunden mit der Gruppenauswanderung der Rexinger Juden 1938 ins britische Mandatsgebiet Palästina.

Siegfried Gumbel war Vorsitzender des Heilbronner Rechtsanwaltsvereins und saß ab 1932 für die linksliberale Deutsche Demokratische Partei im Gemeinderat. Seit 1924 war er Stellvertretender Vorsitzender im Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs. 1933 musste er aus dem Gemeinderat ausscheiden und verlor seine Zulassung als Rechtsanwalt.

Nach dem Tod seiner Frau im Jahre 1936 zog er nach Stuttgart um und arbeitete dort als Nachfolger von Dr. Otto Hirsch als Vorsitzender des Württembergischen Oberrats der jüdischen Gemeinden. Unermüdlich setzte er sich für die jüdischen Familien ein. Er versuchte, deren Lebensumstände zu verbessern und ihnen bei der Emigration zu helfen. Seine beiden Söhne waren schon 1933 ausgewandert.

1937 und 1938 besuchte Siegfried Gumbel seinen Sohn Erich in Palästina. Dort traf er auch seinen früheren Heilbronner Kollegen Dr. Manfred Scheuer wieder. Der war inzwischen Mukhtar (Ortsvorsteher) in der kleinen schwäbisch-jüdischen Siedlung Shavei Zion nördlich von Haifa und Vorsitzender der dortigen Genossenschaft geworden.

Politisch war Manfred Scheuer als Vorsitzender der „Zionistischen Vereinigung für Deutschland“ in Württemberg tätig gewesen. 1935 machte Manfred Scheuer eine Informationsreise nach Palästina und emigrierte 1937 mit seiner Familie nach Haifa. Er unterstützte die Rexinger Juden, die im Frühjahr 1938 das Dorf Shavei Zion gründeten.

Siegfried Gumbel kehrte 1938 von Palästina nach Stuttgart zurück, obwohl ihm sein Sohn und Dr. Scheuer geraten hatten, NS-Deutschland nicht mehr zu betreten. Sein großes Verantwortungsgefühl für die württemberger Juden war stärker als die Sorge um sein eigenes Überleben. 1941 wurde er verhaftet und am 27. Januar 1942 im Konzentrationslager Dachau ermordet.

Manfred Scheuer blieb bis 1965 Bürgermeister von Shavei Zion. Nach 1945 bemühte er sich erfolgreich um den Aufbau der Beziehungen zu Deutschland, seiner Heimatstadt Heilbronn und zur Landeshauptstadt Stuttgart. Er starb 1983 im Alter von 90 Jahren in Shavei Zion.

Info Die Ausstellung „Anwalt ohne Recht – Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933“ wird am kommenden Sonntag um 14 Uhr im Museum Jüdischer Betsaal Horb eröffnet. Es spricht Dr. Hartmut Kilger, ehemaliger Präsident des Deutschen Anwaltvereins. Die Ausstellung ist vom 8. Mai bis 24. Juli jeweils samstags und sonntags von 14 bis 18 Ur geöffnet. Der Eintritt ist frei.

In der Mitte mit Anzug und Stock: Dr. Manfred Scheuer am ersten Tag der Siedlung Shavei Zion. Scheuer wurde 1942 im Konzentrationslager Dachau ermordet.

In der Mitte mit Anzug und Stock: Dr. Manfred Scheuer am ersten Tag der Siedlung Shavei Zion. Scheuer wurde 1942 im Konzentrationslager Dachau ermordet.

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04.05.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 04.05.2016, 01:00 Uhr

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