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Bitte weiteratmen!

100 Fitnesswütige, fünf Trainerinnen und vier Stunden Leibesertüchtigung: In der Tälesee-Halle war Frauensporttag der SG Empfingen. SÜDWEST PRESSE-Redakteurin Kathrin Löffler hat mitgeturnt – und Vorurteile über Bord geschmissen.

24.10.2017

Von Kathrin Löffler

Bloß nicht aus der Reihe tanzen: Die Teilnehmerinnen beim Frauensporttag der SG Empfingen probierten sich im Line Dance. Bild: Kuball

Bloß nicht aus der Reihe tanzen: Die Teilnehmerinnen beim Frauensporttag der SG Empfingen probierten sich im Line Dance. Bild: Kuball

Andrea Fenkls Outfit wackelt bei jedem Schritt. Sie trägt Cowboyhut, Stiefel und einen Lederponcho mit ziemlich vielen Fransen dran. Fenkl steht auf der Empore der Tälesee-Halle und doziert Line Dance, ein Countrytanz mit Wurzeln in den USA. Ich stehe zwischen 100 anderen Frauen vor ihr und schleife einen Riesenrucksack an Ressentiments mit mir herum. Wer Line Dance tanzt, hat auch Airbrush-Poster mit Indianern drauf in seiner Wohnung hängen, da bin ich sicher. Nie im Leben hätte ich freiwillig einen Kurs besucht. Nun steht aber Line Dance auf dem Programm des Empfinger Frauensporttags und ich habe den Ehrgeiz, dabei nicht allzu unwürdig auszusehen. Fenkl diktiert, was wir mit unseren Extremitäten anstellen sollen: „Links raus, kreuzen, drehen, klappt das bei jedem?“ Soweit.

Wir wiederholen die Schrittfolge in Dauerschleife. Erst finde ich das ein wenig monoton. Line Dance ist nicht gerade die Art von Sport, bei der man hinterher das Gefühl hat, ein Schwerlaster sei ausführlich über jeden einzelnen Körpermuskel hinweggewalzt. Aus der Anlage plätschert Countrymusik. Und auf einmal stapfe ich nicht mehr durch eine Mehrzweckhalle im Hohenzollerischen, sondern sehe mich gemeinsam mit dem sehr jungen Lex Barker in einen ketchuproten Sonnenuntergang in Montana reiten. Gar nicht so übel, dieses Line Dance.

Das Problem ist der Namen. Line Dance heißt Line Dance, weil es eben kein anarchistisches Durcheinanderstiefeln bezeichnet. Beim Line Dance wird feinsäuberlich in Reihen performt. Gerne versetzt und spiegelverkehrt, aber immer feinsäuberlich in Reihen. Fenkl versucht, das zu erklären. Große Verwirrung. Es dauert eine Weile, bis jede Sportlerinnenreihe kapiert hat, wohin sie laufen muss. Funktioniert dann aber doch tipptopp. Ohne Kollisionen.

Empfingen entwickelt sich gerade ein wenig zum Line-Dance-Hotspot. Fenkl unterrichtet jeden Freitag im Gymnastikraum die „Little Lake Liner“. Der Gruppenname gehört zum Habitus, sagt die Trainerin aus Dommelsberg, „die heißen immer irgendwie“. Fenkl sagt nach der Übungseinheit auch noch, dass sie ihr Cowboy-Outfit zum Training eigentlich nie trage, nur bei Auftritten, und mit Amerika nichts am Hut habe. Die einzige Verbindung sei die Country-Musik, die gehört zum Line Dance nun einmal wie der Fußball zum Fußball. Laut Fenkl sind es auch sonst mehr soziokulturelle denn athletische Komponenten, die das In-der-Reihe-Tanzen ausmachen: „Man hat dieses Gruppengefühl.“ In der Gruppe reisen Line Dancer zu Tanzveranstaltungen, in der Gruppe stimmen sie ihren Dresscode ab. Gleichwohl hat Line Dance so eine Art völkerverständigenden Charakter. Die Schrittfolgen auf ein bestimmtes Lied gelten überall. Erklingt dieses Lied, wissen alle Line Dancer sofort, wohin mit ihren Beinen – egal, ob sie aus Empfingen oder Aistaig kommen.

Der Frauensporttag am Freitagabend ist bereits Ausgabe Nummer zehn. Ein siebenköpfiges Team aus der Turnabteilung der SG Empfingen hat ihn organisiert. In den Anfangsjahren ging es ursprünglich darum, Eigenreklame für den Verein zu betreiben: Beim Frauensporttag stellten die einzelnen Gruppenleiterinnen ihre Angebote vor. „Mittlerweile sind die Gruppen voll“, sagt die SGE-Frauenbeauftragte Ellen Wannenmacher. Ziel des Frauensporttags ist jetzt: „Zusammenkommen, Spaß haben, spezielle Sportarten ausprobieren, die man sonst nicht jede Woche betreibt.“ Dass mit Line Dance ein Angebot zur Abendchronolgie zählt, das den persönlichen Energiehaushalt nach der Tiramisu-Orgie vom Vortrag nicht sofort wieder in anständige Verhältnisse rückt, war Absicht. Wannenmacher: „Wir wechseln ab zwischen Einheiten zum Runterkommen und einem bissle was Strengeres.“ Und für das bissle Strengere ist am Freitagabend Sindi Sprem zuständig.

Sprem, kurze Haare, Schulterblatt-Tattoo, Boxershorts, Handschuhe, sieht aus, als könne sie in jedem Martial-Arts-Film als Stunt-Double einspringen. „Battle“ heißt ihr Training, auf Deutsch: „Kampf“. „Wir machen jetzt Elemente aus dem Boxen“, verkündet sie. Dann donnert Kirmestechno durch die Halle. 100 Frauen zwischen 16 und 71 Jahren schlagen im Takt eines Duracell-Häschens in die Luft, kicken zur Seite, treten nach hinten. Sprem schreit „Heyheyhey!“, die Gruppe schreit „Heyheyhey!“ zurück, ansonsten kann ich von der Instruktorin gerade noch Satzfetzen wie „Von nichts kommt nichts!“ identifizieren. Überlege, wie viele nervige Mitschüler/Kollegen/Partner hier gerade imaginär verdroschen werden.

Eine Stunde später liegen einzelne Körperteile von mir auf einer Gymnastikmatte. Die anderen versuche ich nach oben zu stemmen. „Drückt ihn hoch!“, befiehlt Trainerin Kerstin Zimmermann. Sie leitet das „Bootcamp“, eine Mischung aus Ausdauer- und Kraftübungen. Mit „ihn“ meint sie momentan das jeweilige Hinterteil einer jeden Teilnehmerin. Hinterteile von heute sollen ja bekanntlich, so befehlen es Frauenzeitschriften und Heidi Klum, gefälligst in shape gehalten werden. Damit das Ganze also nicht brauereigaulmäßig ausartet, machen wir eine Übung, die, Entschuldigung, für den Arsch ist. Keine Ahnung, ob das sichtbare Effekte hat. Was ich aber weiß, ist: Auf gar keinen Fall wird jemals ein Foto von dieser Szene Platz in dieser Zeitung finden.

Beim Empfinger Frauensporttag machen nicht nur Empfingerinnen mit. Die Teilnehmerinnen kommen aus Altheim, Eutingen, Weildorf. Durchhaltevermögen haben sie alle. Auch nach drei von zwei Kursen lichten sich die Reihen nicht. Nur ab und zu huscht eine hinaus, um Kohlenhydrate zu tanken. Salzstangen, Chips und Gebäck stehen bereit. Aberwitzig gesunde Spinat-Grünkohl-Smoothies muss hier keine hinunterwürgen.

Dann kommt Waltraud Kämpf und macht „Rückenfit“ mit uns. An Voreingenommenheiten übertreffe ich mich da selbst. Rückenfit? Ist et was für Menschen ab 65. Oder für solche, die täglich nur zwischen Arbeits-PC und Privatnotebook pendeln und jede Treppenstufe meiden wie der Teufel das Weihwasser. Dazu hat Kämpf sich entschieden, zu ihren Anweisungen statt elektronischem Drill-Soundtrack 60er-Jahre-Pop laufen zu lassen. Ich fühle mich wie in einer wattigen Hippie-Blase. Das wird eine gemütliche Sache.

Wird es nicht. Kämpf zwingt uns zu Liegestützen und Sit-ups. Ich lerne, dass ein Kurs mit dem trügerischen Namen „Rückenfit“ zur Hälfte Bauchmuskelübungen beinhaltet. Während ich Schweißlachen produziere, rät die Trainerin der Gruppe: „Bitte weiteratmen!“ Aus den Boxen säuseln die Walker Brothers höhnisch „The Sun ain‘t gonna shine anymore“.

„Beim Zumba geht es nur darum, Spaß zu haben“, sagt später Isabella Maier. „Bei der Choreografie muss nicht jeder Schritt perfekt sitzen.“ Insofern mache ich alles richtig. Bei mir sitzt absolut nicht jeder Schritt perfekt. Maier ist seit 2011 Zumba-Trainerin. In der Tälesee-Halle hüpft sie in knallgelber Hose und Stirnband auf der Bühne umher. Musik, die nach Copacabana-Urlaub klingt, begleitet sie. Zumba ist so eine Art lateinamerikanische Aerobic-Version, allerdings mit einem weitaus liberaleren Schrittfolgen-Regelwerk. Maiers Beine machen alle zwei Sekunden etwas anderes, und das sieht sehr gekonnt aus. Meine Beine machen zumindest etwas anderes, als mein Gehirn will.

Zum Finale raffen sich noch einmal alle auf. Ein letztes Tänzchen. Nachts um 22.45 Uhr, nach über vier Stunden hopsen, stützen und schattenboxen ist genug geschwitzt. Der letzte Fitnessmusiktakt ist noch nicht verklungen, da ploppen an der Bar die ersten Sektkorken.

Bloß nicht aus der Reihe tanzen: Die Teilnehmerinnen beim Frauensporttag der SG Empfingen probierten sich im Line Dance. Bild: Kuball

Bloß nicht aus der Reihe tanzen: Die Teilnehmerinnen beim Frauensporttag der SG Empfingen probierten sich im Line Dance. Bild: Kuball

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Erstellt:
24.10.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 24.10.2017, 01:00 Uhr

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