Das Tagebuch der Anne Frank

Das Tagebuch der Anne Frank

Verfilmung der berühmten Aufzeichnungen einer 15-jährigen Jüdin, die sich mit ihrer Familie vor den Nazis versteckt.

12.02.2016

Von Jürgen Kanold

Das Tagebuch der Anne Frank

„Ich höre immer lauter den heranrollenden Donner, der auch mich töten wird . . . und doch denke ich, wenn ich meinen Blick gen Himmel richte, dass sich alles wieder zum Guten wenden wird.“

Die 15-jährige Anne Frank, die sich mit ihrer Mutter, ihrem Vater, der Schwester Margot, den drei van Daans und Fritz Pfeffer im Hinterhaus der Amsterdamer Prinsengracht 263 vor dem nationalsozialistisch Terror versteckt, hat Träume wie jedes pubertierende Mädchen. Sie hat eine Sehnsucht nach Leben und nach dem ersten Kuss und nach Liebe, stößt aber auf eine „äußerst schreckliche Wirklichkeit“.

Im Tagebucheintrag vom 15. Juli 1944 bezeichnet Anne es als „ein großes Wunder“, dass sie noch nicht alle ihre Erwartungen aufgegeben hat. Aber sie hält trotzig daran fest, „weil ich noch immer daran glaube, dass die Menschen in ihrem Inneren gut sind“. Im August 1944 freilich werden die acht Juden verraten und verhaftet, im Frühjahr 1945 stirbt Anne Frank leidvoll an Flecktyphus im KZ Bergen-Belsen; nur Vater Otto Frank überlebt den Holocaust. Er veröffentlicht 1947 die von Freunden und Helfern der Familie geretteten Tagebücher seiner Tochter, die gleichwohl auch ein Briefroman („Het Achterhuis“) sind. Denn Anne hatte ihr im Juni 1942 begonnenes Tagebuch, gerichtet an die „liebste Kitty“, zuletzt erwachsener überarbeitet. Auch an einem „Geschichtenbuch“ schrieb sie: Dieses niederländische Mädchen war eine angehende Schriftstellerin.

Der unerschütterliche Optimismus Annes bei allen Ängsten und gleichzeitig der authentisch geschilderte, entbehrungsreiche Alltag einer bedrohten jüdischen Familie, verbunden mit dem Wissen um das tragische Ende, macht das „Das Tagebuch der Anne Frank“ so wertvoll. In Deutschland erschien eine erste Ausgabe schon 1950, fand aber zunächst nicht viele Leser. Zum Weltbestseller wurde das „Tagebuch der Anne Frank“ über den Broadway und Hollywood: als Theaterstück und als psychologischer Thriller in der Regie von George Stevens. Eher merkwürdig, dass es 2014 kritische Stimmen gab, als die Niederländer Leon de Winter und Jessica Durlacher den Stoff auf Basis der kritischen Edition populär für eine Bühne in Amsterdam bearbeiteten. Ist es frivol, das Schicksal des berühmten Holocaust-Opfers theatralisch herauszustellen? Der Anne Frank Fonds in Basel selbst hatte den Auftrag zum Stück gegeben, mit einer überzeugenden Begründung: Man wolle, dass das Tagebuch weiterhin gelesen wird.

Und es war auch der von Otto Frank 1963 gegründete Anne Frank Fonds, der dann den Spielfilm von Hans Steinbichler anregte: die erste deutsche Kino-Produktion des „Tagebuchs der Anne Frank“, in deutscher Sprache und Besetzung (mit Ulrich Noethen als Vater und Martina Gedeck als Mutter); Bundestart ist nächste Woche.

Dieser durchaus gelungene Film transportiert kein planes Geschichtswissen, bietet kein Historical, sondern konzentriert sich auf Anne. Konsequent erzählt Steinbichler die Geschichte aus ihrer Perspektive: Der Zuschauer weiß nicht viel mehr als das Mädchen, das den blutigen Mord der Nazis nicht sieht, sondern nur den Antisemitismus, ihr Anderssein spürt. Ein Schulausflug ans Meer, die Mädels in den Wellen, ein impressionistisches Bild wie von Max Liebermann, aber stramme Jungs schreien: Juden aus dem Wasser! Der Vater weiß um die Gefahr: Als Margot den Deportationsbefehl ins Arbeitslager erhält, taucht die Familie unter.

Der Film zeigt das höchst glaubwürdig von Lea van Acken gespielte Mädchen Anne, das erwachsen wird, das sich gegen die Eltern auflehnt, das aber auch einfach backfischhaft in Peter einen ersten Freund findet. Nur dass der enge Raum, in dem sie lebt, und die ständige Angst, entdeckt zu werden, alle pubertären Probleme extrem verstärken. Anne ist liebevoll und hochmütig, anspruchsvoll und intelligent. Die erste Menstruation ist ihr so wichtig wie die Nachricht von der Landung der Alliierten. Eine 15-Jährige, nachvollziehbar heutig - nur ohne Smartphone, sie schreibt keinen Internet-Blog, sondern mit Tinte Tagebuch.

Eine Stärke des Films ist, dass er nicht mit Szenen der Gewalt argumentieren muss. Es reicht dann am Ende ein erschütterndes, sich tief einprägendes Bild. In Auschwitz müssen sich die Frauen nach der Selektion ausziehen, dann schert man ihnen den Kopf kahl. Jetzt sieht Anne, die immer so stark, so tapfer war, die auch einfach wie andere Mädchen in ihrem Alter schön sein wollte, völlig hilflos aus. Nein, es wird nichts mehr gut.

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Erstellt:
12.02.2016, 19:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 13sec
zuletzt aktualisiert: 12.02.2016, 19:00 Uhr

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Elli Emann 18.03.201609:12 Uhr

Der Stoff "Anne Frank" wurde schon mehrfach verfilmt. Das Besondere an Steinbichlers Film: er zeigt das ganz private Leben der Menschen im Versteck. Er zeigt, dass in der räumlichen Enge eine geistige Weite existiert. Die Menschen "draußen" (in dem Fall die Nazis, die nur in einer kurzen Szene zu sehen sind), die räumlich nicht eingeengt sind, leben stattdessen in einer geistigen Enge. Herausragend die schauspielerische Leistung der erst 17jährigen Lea van Acken.