Filmfestival

„Das geht mich etwas an“

Vielleicht der erste große Cannes-Preis für einen deutschen Film seit vielen Jahren: Fatih Akin mit dem NSU-Drama „Aus dem Nichts“ und einer starken Diane Kruger.

27.05.2017

Von ALIKI NASSOUFIS, DPA

Überragend: Diane Kruger in „Aus dem Nichts“. Foto: dpa

Überragend: Diane Kruger in „Aus dem Nichts“. Foto: dpa

Cannes. Heikle Themen haben den 43-jährigen Fatih Akin noch nie abgeschreckt. Auch jetzt greift der Sohn türkischer Einwanderer einen hochaktuellen Stoff auf: In seinem Cannes-Wettbewerbsbeitrag „Aus dem Nichts“ erzählt er von einer Frau, die bei einem Bombenanschlag in Hamburg ihren Mann und ihren Sohn verliert – schon bald werden Parallelen zu den Morden des rechtsextremen NSU deutlich.

Das packende Drama mit Hollywoodstar Diane Kruger in der Hauptrolle ist die bemerkenswerte Rückkehr des Regisseurs in den Wettbewerb der Filmfestspiele an der Croisette. Zugleich macht es Akin zu einem Favoriten auf einen der Hauptpreise.

Diane Kruger spielt Katja. Sie ist mit dem Kurden Nuri verheiratet, gemeinsam haben sie einen kleinen Sohn und leben in Hamburg. Dann aber, „Aus dem Nichts“, zerbricht Katjas Leben. Bei einem Bombenanschlag sterben ihr Mann und ihr Sohn.

„Es ist meine persönliche Verarbeitung des Phänomens NSU“, sagte Akin der Deutschen Presse-Agentur. „Als jemand mit türkischem, mit ausländischem Hintergrund hatte ich da schon das Gefühl, dass mich das persönlich angeht. Das hätte auch mich treffen können.“ Er finde es „sehr skandalös“, dass die Ermittler den Opfern und ihren Familien über lange Zeit eine Mitschuld gegeben hätten.

„Aus dem Nichts“ erinnert in seiner Intensität an Akins großen und mehrfach ausgezeichneten Erfolg „Gegen die Wand“. Auch jetzt beweist er viel Einfühlungsvermögen und ein präzises Gespür für seine Hauptfigur und erzählt auf beklemmende Weise von Katjas scheinbar aussichtslosem Kampf um Gerechtigkeit. Denn selbst, als ein Neonazi-Paar als tatverdächtig verhaftet wird, bedeutet das keine Genugtuung.

Getragen wird das Drama, das die Zuschauer auch über den Abspann hinaus beschäftigt, von der überragenden Diane Kruger. Der im niedersächsischen Hildesheim geborene Hollywoodstar von Blockbustern wie „Troja“ verkörpert Katja überzeugend als eine Frau, die trotz ihres Traumas einen kämpferischen Geist beweist. Selten hinterließ die 40-Jährige einen stärkeren Eindruck – spannend ist dabei auch, dass Kruger hierfür das erste Mal auf Deutsch drehte.

Das könnte am Sonntagabend mit einem der Hauptpreise belohnt werden, vielleicht sogar mit der Goldenen Palme. Nach Wim Wenders mit „Paris, Texas“ wäre es die erste Palme für einen deutschen Filmemacher seit mehr als 30 Jahren. Gemessen am Applaus in Cannes scheint das sogar nicht unmöglich.

Allerdings ist das Feld der Favoriten in diesem Jahr schwer abzugrenzen. Denn trotz zahlreicher großer Namen sind viele Regisseure hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Über Michael Hanekes „Happy End“ etwa gab es sehr unterschiedliche Meinungen. Dennoch hätte der Österreicher gerade wegen der Subtilität und Andeutungen zur Flüchtlingskrise in Europa Chancen auf eine Auszeichnung.

Stark waren außerdem die beiden russischen Gesellschaftsbilder „Loveless“ über ein Kind, das unter der Scheidung seiner Eltern leidet, und „A Gentle Creature“, in dem der in Berlin lebende Sergei Loznitsa ein System aus Korruption und Willkür zeigt. Weit oben in der Zuschauergunst liegt auch das Drama „120 battements par minute“ über den Kampf von Aids-Aktivisten in Frankreich.

Doch welche der 19 Beiträge am Sonntag tatsächlich auszeichnet werden, das war selten so unklar wie in diesem Jahr. Erst recht, da in der Jury unter Vorsitz von Pedro Almodóvar so unterschiedliche Filmschaffende wie Maren Ade und Will Smith sitzen.

Aliki Nassoufis, dpa

Foto: dpa

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Erstellt:
27.05.2017, 06:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 27.05.2017, 06:00 Uhr

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