Oscars

Die guten Seiten einer Panne

Academy-Präsidentin Cheryl Boone Isaacs erzählt in Stuttgart, wie sie das Fiasko vom Februar verdaut hat und wie sie ihre Vereinigung aufmischt.

06.05.2017

Von MAGDI ABOUL-KHEIR

Ihr jährlicher großer Auftritt: Academy-Präsidentin Cheryl Boone Isaacs bei der Oscar-Gala. Foto: afp

Ihr jährlicher großer Auftritt: Academy-Präsidentin Cheryl Boone Isaacs bei der Oscar-Gala. Foto: afp

Stuttgart. Es waren nur zwei Minuten. Sie fühlten sich wie eine Ewigkeit an.“ Längst hat Cheryl Boone Isaacs ein Lächeln im Gesicht, wenn sie über das Fiasko spricht: das Finale der diesjährigen Oscar-Gala. Doch wie die Präsidentin der Academy am 26. Februar im Dolby Theatre Los Angeles mit offenem Mund dastand, sahen nicht nur die Reichen und Schönen im Saal, sondern hunderte Millionen weltweit im Fernsehen.

Aufgrund einer banalen Panne mit zwei Briefumschlägen hatten die Hollywood-Haudegen Warren Beatty und Faye Dunaway den Oscar für den besten Film an die Produzenten des Musicals „La La Land“ übergeben. Die bedankten sich – als es hieß: Bester Film ist das Drama „Moonlight“. Und so wechselte der wichtigste Filmpreis der Welt auf offener Bühne den Besitzer. Ein PR-Supergau.

Doch Boone Isaacs, Präsidentin der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die den Oscar vergibt, ist PR-Profi. Und zwar von Beruf. Also weiß sie die Panne jetzt – als Gast der Internationalen Konferenz für Animation, Effekte, Virtual Reality, Games und Transmedia (FMX) in Stuttgart – sogar als etwas Positives zu verkaufen. Zum einen sei es bis dahin „eine absolut fantastische Show gewesen und ein großes Jahr fürs Kino“. Zum anderen standen da am Ende die Macher von zwei Filmen auf der Bühne, „die für eine neue, frische Art des Geschichtenerzählens stehen. Das ist doch toll.“

Boone Isaacs, 1949 in Massachusetts geboren, arbeitet seit 1977 im Film-Marketing. Lange war sie bei Paramount, hat Kampagnen für Filme wie „Forrest Gump“ und „Braveheart“ geleitet, später mit einer eigenen PR-Firma Werbung für Oscar-Sieger wie „The King?s Speech“ und „The Artist“ betrieben. Seit 2013 ist sie Präsidentin der Academy, in diesem Sommer endet ihre Amtszeit.

Sie hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Academy zu öffnen, vielfältiger zu machen. „Diversity“ lautet das Schlagwort. 2012 waren laut „LA Times“ 94 Prozent der Academy-Mitglieder weiß, 77 Prozent Männer, das Durchschnittsalter lag bei 62 Jahren. Das erklärt so manche Oscar-Wahl der Vergangenheit.

Dass es mit den Oscars so nicht weitergeht, wurde am 15. Januar 2015 im Showbusiness schlagartig klar. „Nein, nein, nein“, war Boone Isaacs Reaktion, als sie am frühen Morgen die Nominierungs-Liste des Jahres sah: 20 Namen in den Schauspiel-Kategorien, 20 Weiße. „Okay, wir haben ein Problem“, dachte sie, „etwas muss geschehen.“

Unter dem Schlagwort #oscarssowhite flogen die Fetzen. Die Kritik, die auf die Academy einprasselte, ermöglichte es Boone Isaacs freilich loszulegen. Sie startete die Initiative „A2020“ mit dem Ziel, die Vielfalt in der Academy bis zum Ende des Jahrzehnts grundlegend zu stärken.

Wurden früher meist nur gut 100 Filmschaffende pro Jahr aufgenommen, um das biologisch bedingte Ausscheiden aus der überalterten Vereinigung auszugleichen, wurden 2015 stattliche 312 neue Mitglieder eingeladen, 2016 sogar 683: davon 46 Prozent Frauen (etwa die deutsche Regisseurin Maren Ade) und 41 Prozent „people of color“. „Es sieht so aus, als ob es klappt“, erzählt Boone Isaacs dem beeindruckten Fachpublikum im Haus der Wirtschaft. Sie räumt ein, dass „einige wenige“ in der Academy „auf die Bremse treten“. An manchen Tagen frage sie sich: „Hören die Leute überhaupt zu?“ Aber sie weiß: „Wenn man einen Wandel einläutet, kann man es nicht jedem Recht machen.“

Hollywoods Filmindustrie ist freilich nur ein Abbild gesellschaftlicher Realitäten in den USA. Wird das Pferd also von der falschen Seite aufgezäumt? Man kann aber das eine tun und muss das andere nicht lassen, findet Boone Isaacs. Die Academy bestehe aus mehr als 7000 wichtigen, talentierten Menschen, „die Tag für Tag die Filmindustrie beeinflussen können“. Produktionsfirmen wie J. J. Abrams‘ Bad Robot und Brad Pitts Plan B setzten sich stark für Minderheiten ein, die großen Studios folgten zunehmend. Das habe gesellschaftliche Auswirkungen.

Auf wenn sie kaum persönlich wird: Boone Isaacs weiß nur zu gut, von was sie da redet. Sie hat es in ihrer Karriere als Hürde erlebt: „Ich war oft die einzige Frau, die einzige Schwarze im Raum. Das war nicht immer einfach.“

Nun, in diesem Jahr waren für die Oscars sechs „people of color“ in den Schauspiel-Kategorien nominiert, mit Mahershala Ali und Viola Davis holten davon zwei die Trophäe; insgesamt gab es diesmal fünf schwarze Gewinner, so viele wie noch nie.

„Hören die Leute überhaupt zu?“

In Sachen Academy gibt es allerdings ein Missverständnis, sagt Boone Isaacs: „Wir machen viel mehr, als den Oscar zu vergeben. Das ist ein Abend im Jahr. Der ist großartig, aber bei weitem nicht alles.“ Die Academy verleiht viele weitere Preise, ist eine Bildungseinrichtung. Und 2019 soll im Herzen Los Angeles‘ endlich das Academy-Museum eröffnen.

Cheryl Boone Isaacs glaubt daran, dass Film die Welt miteinander verbindet, gerade jetzt, wo das Medium derart im Wandel sei. Am Abend, beim FMX-Empfang im Maritim, hat sie noch eine letzte große, heftig beklatschte Werbebotschaft: „Film kann uns zu besseren Menschen machen.“

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Erstellt:
06.05.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 32sec
zuletzt aktualisiert: 06.05.2017, 06:00 Uhr

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