Kirchen

Die verschlungenen Wege eines Läutwerks

Die Polen gehörende Glocke in St. Johann stammt ursprünglich aus Oberschlesien.

11.11.2017

Von Cristina Priotto

Auf dieser alten Aufnahme des Hamburger Glockenfriedhofs ist die Glocke mit der Kennziffer 251826 abgebildet. Privatbild

Auf dieser alten Aufnahme des Hamburger Glockenfriedhofs ist die Glocke mit der Kennziffer 251826 abgebildet. Privatbild

Wann genau die Glocke mit der Kennziffer 251826 von der Pfarrkirche St. Laurentius im polnischen Pist nach dem Zweiten Weltkrieg in den Kirchturm der katholischen Kirche Sankt Johann Sulz gelangte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.

Die SÜDWEST PRESSE hatte berichtet, dass ein Teil des Geläuts in der Neckarstadt eigentlich einer polnischen Gemeinde gehört, die das Läutwerk nach über 70 Jahren nun zurückfordert.

Auf Anfrage unserer Zeitung haben Mitarbeiter des Deutschen Glockenarchivs, das beim Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg angesiedelt ist, Details zu der Glocke herausgesucht.

Die handschriftlichen Eintragungen auf der über 70 Jahre alten Karteikarte lassen sich allerdings nur schwer entziffern. Demnach ist das Geläut im Jahr 1743 von einem Glockengießer namens Frantz Stancke in Troppau, dem tschechischen Opava in der Region Mährisch-Schlesien, angefertigt worden. Dies verrät auch eine gereimte Inschrift am Wulst: „Mit der Gnade Gottes bin ich durchs Feuer geflossen / Frantz Stancke in Troppau hat mich gegossen“.

Die auf der sogenannten Haube, dem oberen abschließenden Teil, umlaufende Inschrift lautet „Hanc campanam curavit reundi sumptibus suis anno 1743“.

Auf dem Nürnberger Datenblatt finden sich auch genaue Angaben bezüglich der Größe, das Feld für das Gewicht ist auf der Karteikarte indes ausgespart: Die Stancke‘sche Glocke hat einen Durchmesser von 102 Zentimetern und ist 97 Zentimeter hoch. Als Material ist Bronze genannt.

Betti Roth vom Glockenarchiv hat zudem festgestellt, dass sich die Noch-Sulzer Glocke außer in der Glockenkartei auch auf der Patenglockenliste findet. Wann die Abnahme, also die Beschlagnahmung durch die Nationalsozialisten, genau erfolgte, geht aus diesen Informationen jedoch nicht hervor. Für viele Glocken wurden früher Listen mit den beteiligten Handwerkern erstellt, um den Abtransport zu dokumentieren – nicht jedoch für den Kreis, zu dem Ratibor gehört, wohin das Läutwerk gelangte.

Unklar ist zudem, wie die Glocke nach Sulz kam. Bei der katholischen Kirchengemeinde ist nur bekannt, dass das Geläut seit etwa 70 Jahren im Kirchturm hängt.

Wie berichtet, hatte ein Privatforscher aus Pist, wo die Glocke bis zum Zweiten Weltkrieg hing, 2015 herausgefunden, dass das Geläut in Sankt Johann hängt. Die polnische Kirchengemeinde fordert die Glocke nun zurück. Das Bischöfliche Ordinariat in Rottenburg muss noch zustimmen.

Bislang stehen weder ein Termin für den Ausbau noch die Kostenaufteilungfür die Beschaffung eines neuen Läutwerks zwischen Ordinariat und der Kirchengemeinde fest.

Glockenarchiv Nürnberg

Das Deutsche Glockenarchiv im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg forscht Glockenschicksalen nach. Gegründet wurde die Sammlung auf Initiative des „Ausschusses für die Rückführung der Glocken“ (ARG).

Die Kirchenglocken in Deutschland, soweit möglich auch die vermissten, sind dort auf Karteikarten in einem Glockenatlas mit Fotos registriert.

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Erstellt:
11.11.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 20sec
zuletzt aktualisiert: 11.11.2017, 01:00 Uhr

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