„Interessante, gefährliche Zeiten“

Die weltläufige Polin Agnieszka Holland steht im Wettbewerb der Berlinale

Agnieszka Holland ist ein großer Name des Weltkinos. Jetzt hat sie wieder in ihrer Heimat Polen gedreht – und ist mit ihrem Film im Wettbewerb der Berlinale.

09.02.2017

Von MATHIAS PUDDIG

Die weltläufige Polin Agnieszka Holland steht im Wettbewerb der Berlinale

Berlin. Sie studierte in Prag, feierte in ihrer Heimat Polen erste Filmerfolge, emigrierte nach der Verhängung des Kriegsrechts 1981 nach Frankreich, drehte auch in Deutschland und später in Hollywood: Agnieszka Holland (69) ist ein großer Name des Weltkinos.

Als Assistentin von Krzysztof Zanussi und Andrzej Wajda hatte sie in den späten 70er Jahren begonnen. Ihre erste Regiearbeit nach der Emigration, die deutsche Produktion „Bittere Ernte“ mit Armin Mueller-Stahl, wurde gleich für den Oscar nominiert. Ihre bekanntesten Filme sind „Hitlerjunge Salomon“ (1990) und „Der geheime Garten“ (1993). Zuletzt hat sie in den USA auch einige Folgen der Hit-Serie „House of Cards“ inszeniert.

Mit ihrem aktuellen Film „Pokot“ steht sie im Wettbewerb der heute beginnenden 67.?Berlinale. Darin geht es um eine frühere Ingenieurin und passionierte Astrologin, die in ihrem Dorf in den Sudeten Nachforschungen zu einer Mordserie an Jägern anstellt. Agnieszka Holland ist ein äußerst politischer Mensch und eine kritische Beobachterin der polnischen Verhältnisse.

Frau Holland, unter den zwei Dutzend Regisseuren im Berlinale-Wettbewerb sind nur fünf Frauen. Sie sind eine davon?.?.?.

Agnieszka Holland: Das ist doch eine ganz gute Balance. Ich hoffe, dass es in diese Richtung weitergeht, denn es gibt immer mehr talentierte Filmemacherinnen. Berlin war in dieser Hinsicht immer schon etwas besser als andere Festivals, wo es überhaupt keine Frauen in die Wettbewerbe schaffen. In Cannes etwa sind Regisseurinnen sehr selten. Es ist also gut zu sehen, dass mein Geschlecht hier doch recht stark vertreten ist.

Trotzdem: Frustriert es Sie nicht, in einer Branche zu arbeiten, wo der Unterschied zwischen Männern und Frauen noch so gewaltig ist?

Das ist keine Frage meiner persönlichen Frustration. Die Frage ist vielmehr, was es für die Zuschauer bedeutet, wenn die Repräsentation unterschiedlicher Sichtweisen nicht gleichberechtigt ist. Die Hälfte der Menschheit sind Frauen, manchmal sogar mehr. Und sie haben in diesem wichtigen Medium praktisch keine Stimme. Das ändert sich nur sehr langsam, denn es ist weiterhin eine Frage des Geldes und des Vertrauens von Geldgebern, die oft aufgrund von Geschlechtervorurteilen urteilen. Und ist es ja nicht nur der Film, wo Frauen schwieriger Karriere machen. Das ist in der Politik genauso, in der Wissenschaft und in vielen anderen Bereichen.

Halten Sie Ihren Film für ein Statement? Glauben Sie, dass Filmemachen generell ein Statement ist?

Darüber denke ich nicht nach, wenn ich mich für eine Geschichte entscheide. Manchmal wird sie aber von selbst zu einem Statement. Ich will Geschichten erzählen, die mir wichtig sind, und zwar mit meiner Sensibilität und Fantasie. Manchmal kann es dann passieren, dass der Film in die Welt entlassen wird und dann zu einem Statement wird – vielleicht weil sein Inhalt relevant ist, oder wegen der Dinge, die die Zuschauer fühlen und erfahren. Aber ich mache keine offen politischen Filme. Der politische Inhalt meiner Filme kommt durch ihre Darstellung und Erkundung der Schicksale der Menschen und nicht durch eine ideologische oder politische Agenda. Ich kann aber wegen der Auswahl meiner Geschichten und ihren Schwerpunkten auch nicht leugnen, wer ich bin.

„Pokot“ ist ein polnischer Film?.?.?.

Ja, er wurde in Polen und auf Polnisch gedreht. Er ist aber eine Koproduktion von fünf europäischen Ländern: Polen, Tschechien, die Slowakei, Deutschland und Schweden.

Aber Sie erzählen doch schon eine polnische Geschichte?

Das ist eine polnische Geschichte mit einer hoffentlich universellen Dimension. Als ich den Film in Los Angeles kürzlich in einer Privatvorführung gezeigt habe, haben die Zuschauer ihn als extrem relevant für die aktuelle Situation in den USA verstanden.

Inwiefern ist die Situation in Polen denn mit der in den USA vergleichbar?

Leider ist die politische Situation in vielen Ländern vergleichbar. In Polen hat vor einem Jahr ein politischer Wandel eingesetzt, den ich für sehr bedauerlich halte, weil er grundsätzliche Freiheiten, Frauenrechte, die Umwelt, verschiedene demokratische Werte und Institutionen angreift. Diese Politik wird von Angst, Spaltung und Ausgrenzung geleitet, und sie weckt Fremdenfeindlichkeit und nationalistische Gefühle. Es gibt zahlreiche Bedrohungen in den USA nach der Wahl von Donald Trump. Der politische Wandel hat reale Gründe, und ich denke, dass darauf populistische und nationalistische Antworten die schlechtestmöglichen sind. Ähnliche Krisen haben auch zum Brexit in Großbritannien geführt, und sie könnten zu einem Wahlsieg des Front National in Frankreich führen. Wir leben in interessanten, aber gefährlichen Zeiten. Schauen Sie, ich habe drei Filme über den Holocaust gedreht. Ich bin mit den historischen Umständen vertraut, die zum Holocaust führten, und ich weiß, dass die menschliche Natur zu sehr schlimmen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Lage ist. Ich erkenne deutliche Parallelen zwischen der geistigen und politischen Situation in den 30er Jahren und heute. Das macht mir natürlich Sorgen.

Sie selbst haben einige Folgen der amerikanischen Polit-Hit-Serie „House of Cards“ gedreht. Hätten Sie jemals gedacht, dass all das wahr werden könnte?

Ich hatte schon vor drei Jahren so ein Gefühl, dass wir womöglich einen Weg in die Wirklichkeit aufgemacht haben. Einige Leute hörten auf, zwischen der Wirklichkeit und „House of Cards“ zu unterscheiden. In gewisser Weise hat die Serie auch populistischen Bewegungen geholfen, das Image der offiziellen Politik herabzusetzen. Das ist aber nicht die Schuld unserer Serie! Auf der anderen Seite trägt auch die offizielle Seite Schuld. Sie haben den Draht zu den Menschen verloren, die Sensibilität für das, was sie wollen und was ihnen Sorgen bereitet. Schon vor langer Zeit haben Politiker aufgehört, Antworten auf die echten Herausforderungen zu geben, indem sie die Demokratie als oberflächliches Spiel behandelt haben und sie ihrer Substanz beraubten.

Schauen wir nochmal nach Polen. Sie haben schon sehr früh gewarnt, dass die PiS-Regierung Stück für Stück die Demokratie demontiert. Haben Sie Recht behalten?

Ich denke, ja. Leider. Ich habe Angst, dass die ersten Handlungen, die Trump nun durchgeführt hat, ebensolche Bewegungen in Europa ermutigen, seiner Logik zu folgen. Es ist sehr schwer, sie zu besiegen, weil Demokratie nur funktioniert, wenn sich alle an die gemeinsamen Regeln halten. Die Menschen müssen an die Relevanz der Gesetze und Institutionen glauben. In dem Moment, wo die Regierenden – selbst wenn sie demokratisch gewählt wurden – die Regeln nicht befolgen und die Verfassung brechen, funktioniert die ganze Demokratie nicht mehr.

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Erstellt:
09.02.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 14sec
zuletzt aktualisiert: 09.02.2017, 06:00 Uhr

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