Medienkonzern schaut sich die Gesichter von Zuschauern ganz genau an

Disney weiß, was wir fühlen

Der Medienkonzern Disney analysiert mit einem neuen System die Gesichtsausdrücke von Zuschauern, um den Erfolg von Filmen vorab zu testen.

15.08.2017

Von ISABELLE JAHN

Schrecken oder Staunen? Mit Emotionsscannern kann Disney nun in den Gesichtern „lesen“. Foto: © Stock-Asso/Shutterstock.com

Schrecken oder Staunen? Mit Emotionsscannern kann Disney nun in den Gesichtern „lesen“. Foto: © Stock-Asso/Shutterstock.com

Ulm. Wenn der vergessliche Doktorfisch Dorie wieder eine Erinnerungslücke hat, muss man einfach lachen. Die Stelle in „König der Löwen“, an der der mächtige Löwe Mufasa vor den Augen seines kleinen Sohnes Simba stirbt, treibt wiederum vielen Zeichentrick-Fans Tränen in die Augen. Manche Filme sind so gruselig, dass man starr dasitzt und andere so langweilig, dass man im Kinosessel einnickt.

Kino ist Emotion, und damit verdienen Filmfirmen ihr Geld. Wie wir darauf reagieren, entscheidet darüber, wieviel. Das kann Walt Disney jetzt mithilfe komplexer Algorithmen herausfinden. Der mit mehr als 175 Milliarden Dollar wertvollste Medienkonzern der Welt hat die Emotionserkennung bereits bei mehr als 3000 Kinobesuchern getestet.

Die Forschungsabteilung des kalifornischen Filmstudios hat zusammen mit Forschern des California Institute of Technology (Caltech) eine Software entwickelt, mit der Reaktionen auf Filmszenen anhand menschlicher Gesichtsausdrücke erkannt werden. Dies berichtet der Konzern in einer Pressemitteilung.

Mimik als Zahlencode

Bei der „FVAEs“-Methode (Factorized Variational Autoencoders) nimmt eine Infrarot-Kamera die Mimik des Zuschauers während des Kinobesuchs auf, die dann in Zahlencodes umgewandelt wird. So wird ermittelt, ob eine lustige Szene das Publikum auch wirklich zum Lachen bringt oder eine traurige wirkt, wie sie soll. Das ist aber noch nicht alles: Anhand der Gesichtsausdrücke, die ein Zuschauer im Zeitraum von ein paar Minuten zeigt, sind angeblich zuverlässige Vorhersagen für die Reaktionen während des restlichen Films möglich.

Mit diesem Ansatz könne man die komplexen Reaktionen des Kinopublikums deutlich genauer erfassen als bisher, heißt es in der Mitteilung weiter. Bei dem Testlauf in 150 Vorführungen von Filmen wie „Big Hero 6“, „Das Dschungelbuch“ oder „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ mit insgesamt rund 3200 Teilnehmern kamen ungefähr 16 Millionen Gesichtsausdrücke zusammen. „Das sind weit mehr Daten als ein Mensch auswerten kann“, sagt Disney-Forscher Peter Carr. Durch „FVAEs“ sei es möglich, Daten zusammenzutragen, ohne dass wichtige Details verloren gehen.

Die Technik zur Emotions-Erkennung könnte die Filmwelt verändern, denn durch sie lässt sich vorhersagen, was die Zuschauer mögen. Die Ergebnisse können genutzt werden, um erfolgreiche Filme zu produzieren. Disney kann etwa Reaktionen auf Ausschnitte eines Films testen, der noch im Entstehen ist, und ihn dementsprechend verändern oder ganz verwerfen. So lassen sich hunderte Millionen Dollar teure Flops vermeiden.

Bisher kommen die Gesichtsscanner nur bei Testpersonen zum Einsatz, dem Filmunternehmen zufolge soll das auch so bleiben. Doch die biometrische Gesichtserkennung ist nicht neu. Sie wurde auch in der Wirtschaft schon eingesetzt: Die Supermarktkette Real etwa hat in mehr als 40 Filialen ihre Kunden digital analysiert, um sie besser kennenzulernen und Werbung individuell und damit gewinnbringend anzupassen. An Werbeschildern nahe der Kasse zeichneten Kameras auf, wann und wie lange Kunden die Filme betrachteten. Die Analyse lieferte auch Informationen zu ungefährem Alter und Geschlecht der Kunden. Real hat die Tests jedoch abgebrochen, nachdem Kritik laut wurde und Datenschützer des Vereins Digitalcourage die Supermarktkette angezeigt hatten.

Entgegen dem Bundesdatenschutzgesetz, diene die Videoüberwachung nicht mehr dem eigentlichen Zweck, Diebe zu identifizieren, so die Argumentation. Außerdem seien die Tests in den Filialen für die Kunden nicht ausreichend gekennzeichnet worden.

Einen ähnlichen Fall gab es in Partnerfilialen der Deutschen Post, wo Infodisplays mit der Gesichtserkennungs-Technik ausgestattet wurden, um Alter und Geschlecht von Kunden bestimmen und so zur Zielgruppe passende Werbung ausspielen zu können.

Gescannt, analysiert, verfolgt

Friedemann Ebelt, der sich in dem Verein für Grundrechte und Datenschutz engagiert, findet den Einsatz von Gesichts-Scannern für solche Zwecke äußerst problematisch: „Irgendwann können wir uns nicht mehr im öffentlichen Raum bewegen, ohne gescannt, analysiert und verfolgt zu werden.“ Es werde ein Abdruck des Gesichts erstellt, anhand dessen Menschen stets wieder erkannt werden könnten.

Wenn man im Kino gefilmt werde, sei das genauso unangenehm wie wenn einem das Gesicht abgetastet würde. Auch, wenn so ein Test vorab angekündigt werde und freiwillig sei, schränke das den Kunden in seiner Freiheit ein. „Außerdem bekommen wir keine besseren Filme, wenn nur darauf geachtet wird, welche Gags funktionieren“, kritisiert Ebelt, „das ist dann künstlerische Armut“.

Zum Artikel

Erstellt:
15.08.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 15.08.2017, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.