Die Angst bleibt

Ein Horber Gaststätten-Angestellter liegt nach der Attacke auf ihn im Koma

Nach dem gewalttätigen Angriff auf den Angestellten einer Gaststätte im Horber Industriegebiet Heiligenfeld am Donnerstag (wir berichteten) schwebt der 66-jährige Mann nach Angaben der Gaststätten-Besitzerin in Lebensgefahr. Derweil hat die Staatsanwaltschaft den 30-jährigen mutmaßlichen Täter wieder frei gelassen.

28.06.2016

Von Vincent Meissner

„Hier war alles voller Blut“: Susanne Graf am Tatort in der Abstellkammer ihrer Gaststätte „Sues Salatschüssel“ im Horber Industriegebiet Heiligenfeld. Am Kühlschrank sind noch Blutspritzer und das Maßklebeband der Spurensicherung zu sehen. Den Heizpilz, gegen den der Täter das Gesicht des Opfers geschlagen haben soll, hat die Polizei sichergestellt.Bild: vm

„Hier war alles voller Blut“: Susanne Graf am Tatort in der Abstellkammer ihrer Gaststätte „Sues Salatschüssel“ im Horber Industriegebiet Heiligenfeld. Am Kühlschrank sind noch Blutspritzer und das Maßklebeband der Spurensicherung zu sehen. Den Heizpilz, gegen den der Täter das Gesicht des Opfers geschlagen haben soll, hat die Polizei sichergestellt.Bild: vm

Horb. Zwei brennende Kerzen stehen auf der Theke in der Gaststätte „Sues Salatschüssel“ vor einem kleinen Blumenstrauß. Daneben ein Kärtchen auf dem handschriftlich „Viel Kraft“ und der Vorname des Opfers geschrieben steht. Eine ehemalige Mitarbeiterin hat das altarmäßig anmutende Ensemble gestern früh aufgestellt.

Gaststätten-Besitzerin Susanne Graf sitzt zwei Meter weiter an einem Tisch und zeigt Bilder des Opfers im Klinikbett. Die Augen sind zugeschwollen. Hämatome und Wunden ziehen sich über das Gesicht. „Die Knochen zwischen Nase und Ohr sind pulverisiert“, berichtet Graf. Zudem habe der Mann ein schweres Schädel-Hirn-Trauma: „Die Frage ist, welche Schäden bleiben im Gehirn zurück“, sagt Graf. Nach einer Pause fügt sie hinzu: „Ich glaube nicht, dass das noch mal was wird.“ Ihre Stimme versagt, Tränen steigen ihr in die Augen.

Das 66-jährige Opfer des Angriffs ist seit Tagen nicht ansprechbar und liegt im Koma. „Ich nenne es Schumi-Zustand“, sagt Graf in Anspielung an den ehemaligen Formel 1-Fahrer, der 2013 einen schweren Skiunfall hatte. Deshalb wundert sich Graf auch über die Formulierung der gemeinsamen Pressemitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft kurz nach dem Angriff, in der es heißt: „Durch die Attacken erlitt der 66-jährige Wirt schwere, aber nicht lebensgefährliche Kopfverletzungen.“ Grafs Reaktion: „Ich verstehe nicht, warum das keine lebensgefährlichen Verletzungen sein sollen?! Da schüttelt jeder den Kopf.“ Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen einen Rechtsmediziner eingeschaltet, der die Verletzungen beurteilen soll. Ein Ergebnis gibt es jedoch noch nicht.

Doch was war denn eigentlich genau los am Donnerstagabend? Graf arbeitete zum Zeitpunkt des Angriffs selbst nicht, beschreibt den Tathergang jedoch so: Der mutmaßliche Täter kam um kurz vor 20 Uhr in die Gaststätte und setzte sich an den Tresen. Er bestellte eine Currywurst und Pommes. Kurz darauf soll der 30-Jährige hinter die Theke gegangen sein. Der Wirt sagte ihm, dass er da nichts verloren habe. Wenig später verließ der Wirt den Schankraum durch die Küche und ging in die angrenzende Abstellkammer, um etwas zu holen. Der mutmaßliche Täter folgte ihm und traktierte ihn dort zunächst mit einem Besenstiel und schlug den Kopf des Mannes dann gegen den Fuß eines Heizpilzes. Er soll gesagt haben: „Ich bring’ dich um. Ich schlag’ dir dein Hirn zu Brei“, erzählt Gaststätten-Besitzerin Graf. Das alles berichtete der 66-Jährige noch, bevor er das Bewusstsein verlor. Susanne Graf haben sich die Worte ins Gedächtnis eingebrannt. Gesehen hat das Ganze wohl niemand. Die drei Gäste im Biergarten bekamen von alledem nichts mit.

Spekulationen über das Motiv des Gewalttäters

Nach der Attacke fuhr das Opfer noch mit dem eigenen Auto nach Hause ins acht Kilometer entfernte Tumlingen. „Der ist in seinem Schockzustand geflüchtet“, sagt Susanne Graf. „Er war voller Adrenalin.“ Zu Hause berichtete er der Gaststätten-Inhaberin von der Attacke. Mit dem Rettungshubschrauber kam der 66-Jährige dann in eine Klinik nach Tübingen. Der Täter ging nach Angaben der Polizei derweil in ein benachbartes Firmengebäude und attackierte dort einen Angestellten. Zu Hilfe eilende Kollegen des Firmenmitarbeiters hielten den Angreifer daraufhin fest, bis die Polizei kam. Der verletzte Firmenmitarbeiter konnte das Krankenhaus inzwischen verlassen. Gestern schaute er kurz an seinem Arbeitsplatz vorbei: „Er sah übel aus“, sagt ein Kollege.

Über das Motiv des Täters kann Gaststätten-Besitzerin Graf derweil nur spekulieren: „Der hat wahrscheinlich einfach Bock gehabt, sich zu prügeln und Dampf abzulassen.“ Bei der Polizei soll er sich stundenlang geweigert haben, auszusagen. Außerdem, berichtet Graf, soll der Mann gesagt haben, dass er demnächst eh in die Psychatrie gehe. „Für mich klingt das alles mega vorsätzlich“, sagt Graf.

Der 30-Jährige soll mit seiner Frau und zwei Kindern in einem Horber Teilort wohnen. In „Sues Salatschüssel“ haben sie ihn vorher nie gesehen: „Uns ist er nicht bekannt als Gast“, sagt Graf. Eine Mitarbeiterin der Gaststätte kam hinzu, als der mutmaßliche Täter von der Polizei festgenommen war. Sie erzählte gestern, dass der Mann „sturzbetrunken“ gewesen sei. „Der stand total neben sich.“ Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft können zu den Hintergründen noch nichts sagen. Die Ermittlungen laufen noch.

Doch weil die Staatsanwaltschaft Rottweil keinen Haftbefehl erlassen hat, ist der mutmaßliche Täter inzwischen wieder auf freiem Fuß. Gaststätten-Besitzerin Susanne Graf gefällt der Gedanke gar nicht, dass der Mann frei rumläuft: „Der sollte weggesperrt werden“, sagt sie. Ein Bild des mutmaßlichen Täters hängt inzwischen hinter dem Tresen, damit ihn alle Angestellten sofort erkennen. Sollte der Mann wieder auftauchen, dann hat die Polizei geraten, ihm Hausverbot zu erteilen und die Polizei zu rufen.

Für Graf ist das nicht sehr beruhigendend: „Ich bin nachher wieder allein“, sagt sie. „Das einzige, womit ich mich schützen kann – und darf – ist das“, sagt sie und stellt ein Pfefferspray-Döschen auf den Tisch. „Natürlich habe ich Angst.“ Doch das reicht nicht für einen Haftbefehl: „Für akute Wiederholungsgefahr fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten“, sagt Staatsanwaltschafts-Pressesprecher Michael Groß.

Keine Fluchtgefahr / Ermittlungen wegen Körperverletzung

Die Staatsanwaltschaft Rottweil hat keinen Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Gewalttäter erlassen und damit ist dieser auf freiem Fuß. Der Grund: Da der 30-Jährige in der Gegend eine feste soziale Bindung mit Familie und Arbeitsplatz hat, besteht keine Fluchtgefahr. Auch Verdunkelungsgefahr, etwa durch die Bedrohung möglicher Zeugen, sieht die Staatsanwaltschaft aktuell nicht. Die Ermittlungen laufen auch nicht wegen versuchtem Totschlag, sondern wegen gefährlicher und schwerer Körperverletzung. Für ein Tötungsdelikt fehle der Vorsatz, sagt der stellvertretende Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Rottweil, Michael Groß: „Was gegen eine beabsichtigte Tötung spricht, ist die Tatsache, dass er sein Opfer hat ziehen lassen.“ Selbst wenn der Angreifer etwas wie „Ich bring’ dich um“ gesagt habe, kann er im Laufe der Tat von diesem Tötungsvorsatz zurücktreten, wie das Juristen formulieren.

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28.06.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 28.06.2016, 01:00 Uhr

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