Was es bedeutet, Mensch zu sein

Ein Tübinger Filmemacher hat weltweit Menschen mit Behinderung getroffen

Für seinen Film „Humanness“, der am Sonntag in Reutlingen läuft, traf der Tübinger Dennis Klein weltweit Menschen mit Behinderung.

22.09.2017

Von Philipp Koebnik

Dennis KleinBild: Koebnik

Dennis KleinBild: Koebnik

Vietnam und Kambodscha, Neuseeland und Lesotho, Bolivien und Panama: Das sind nur einige der Länder, die Dennis Klein für seine Recherchen bereist hat. Über vier Jahre war der Tübinger mit seinem Filmprojekt beschäftigt, für das er weltweit Menschen mit Behinderung begleitet hat. Klein wollte herausfinden, mit welchen Problemen sie kämpfen und wie die Gesellschaft mit ihnen umgeht. Letztlich jedoch suchte er Antworten auf die Frage: Was macht den Mensch zum Menschen?

Seit seinem Zivildienst hatte Klein mit Behinderten zu tun. Schon damals war es „völlig normal“ für ihn, „dass diese Menschen dazugehören“, sagt der 36-Jährige. Seit 2003 nahm er an den inklusiven Kinder- und Jugendfreizeiten der KBF Mössingen teil: „Ich bin sozusagen mit den Leuten aufgewachsen.“ Klein lernte früh, wodurch sich ihr Leben von dem anderer Menschen unterscheidet: „Es ist ein viel größerer Einsatz nötig, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.“

Früh schon ärgerte er sich auch über die verschiedenen Formen der Entmündigung, die Behinderte in entsprechenden Einrichtungen oft erführen. So bekommen viele nur ein Taschengeld, dürfen also nicht selbst über ihr Einkommen verfügen. Auch in anderer Weise werden Behinderte diskriminiert: Sie sind beim Erbrecht benachteiligt, verfügen über ein Schonvermögen von nur 2500 Euro, und rund 80 000 von ihnen sind nicht wahlberechtigt. All das, obwohl die Bundesrepublik die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat. „Wenn es in Deutschland schon so prekär ist, wie sieht es dann erst in anderen Ländern aus?“, so Klein.

Seine Suche nach Antworten führten den 36-Jährigen zu ganz unterschiedlichen Menschen in rund 25 Staaten auf allen Kontinenten – „außer der Antarktis“, wie Klein schmunzelnd hinzufügt. Mit der Technik musste er sich nicht extra vertraut machen, hat er doch bereits mit 14 seine erste Kamera gekauft und seither „immer gerne Filme gedreht und geschnitten“.

Was Klein auf seiner langen Reise erlebte, habe ihn tief berührt, sagt er, „bis hin zu schlimmster Verzweiflung“. Wie gut oder schlecht Behinderte behandelt werden, hänge nicht allein davon ab, über welche Ressourcen ein Land verfügt. Klein ist sich deshalb sicher: „Es scheitert nicht am Finanziellen, sondern am fehlenden politischen Willen.“ Im Grunde sei es gar nicht schwer, Menschen mit Behinderung dazugehören zu lassen – aber trotzdem geschehe vielfach das Gegenteil. „Je länger ich unterwegs war, desto wütender wurde ich“, resümiert Klein.

Nicht alle Orte und Personen, die Klein besuchte, haben es in den fertigen Film geschafft. Im Fokus von „Humanness“ stehen nun vier Länder: Deutschland, Lesotho, Indien und Kolumbien. Kleins Hauptaugenmerk gilt dabei immer wieder dem Zusammenhang von Behinderung und Armut. Denn wer eingeschränkt ist, hat auf dem Arbeitsmarkt Nachteile. Und arbeitslos zu sein führt in Entwicklungsländern quasi automatisch in die Armut – ihr wieder zu entfliehen, ist schier unmöglich. Die Weltbank schätzt, dass ein Fünftel der Ärmsten mit einer Behinderung lebt.

Seinen Beruf als Lehrer für Deutsch und Geschichte musste Klein zeitweise unterbrechen. Immerhin war er für sein Filmprojekt 14 Monate in der Weltgeschichte unterwegs. Für die Postproduktion hat er dann nochmal eine Auszeit von der Schule eingelegt. Seit zwei Wochen unterrichtet er wieder.

Unterstützung erhielt Klein unter anderem vom Behindertenbeauftragten des Landes Gerd Weimer und der DAI-Mitarbeiterin Ulrike Krone. Mit insgesamt 23 000 Euro haben öffentliche Institutionen wie das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg das Filmprojekt gefördert. „Sonst hätte ich das nicht machen können“, sagt Klein. Den Rest hat er aus eigener Tasche bezahlt.

Entstanden ist ein bewegender Film, der bisweilen sehr persönlich ist, da Klein auch über seine Gefühle spricht, seine eigene Unsicherheit nicht versteckt und sein Schwanken zwischen dokumentarischem Anspruch und emotionaler Anteilnahme thematisiert. So erfährt der Zuschauer auch von einem zweifelhaften Versuch, zu helfen. Weniger Pathos an manchen Stellen und weniger sentimentale Musik hätten dem Film allerdings gut getan – zumal die Bilder und Geschichten für sich sprechen.

Dennoch: Klein zeichnet anrührende Portraits, zeigt die Hilflosigkeit seiner Protagonisten, aber auch ihre Stärke, ihren Lebensmut und ihren Humor. Nicht zuletzt führt der Film eindrucksvoll vor Augen, mit welcher Hingabe sich Menschen – auch wenn sie nur über bescheidene Mittel verfügen – um andere Menschen kümmern. So wie die Ergotherapeutin Shruti, die in Indien behinderte Kinder pflegt.

Klein wünscht sich, dass „Humanness“ möglichst viele Leute erreicht und zum Nachdenken anregt. Deshalb hat er den Film auf Englisch gedreht, mit deutschen Untertiteln. Es gebe zu wenig Räume der Begegnung, kritisiert Klein. Die Zuschauer sollen entdecken, „dass ihnen dadurch coole Freundschaften entgehen“. Auch wenn es nicht immer einfach sei, könne man doch viel Spaß zusammen haben. „Klar ist es schwierig, einen Rollstuhl zu schieben, aber einen betrunkenen Kumpel nach Hause zu bringen, ist noch anstrengender.“

20 Prozent für Projekte

Um einen Verleih zu gewinnen, der „Humanness“ ins Kino bringt, muss der Film bekannter werden. Dennis Klein will ihn deshalb auf zahlreichen internationalen Festivals zeigen. Dafür braucht er Geld, weshalb er eine Crowdfunding-Kampagne gestartet hat. Das Ziel sind 5000 Euro bis zum 4. Oktober – davon hat Klein bislang zwei Drittel erreicht. Später sollen 20 Prozent des Gewinns an Projekte gehen, die auch im Film vorgestellt werden.

Mehr Informationen und die Möglichkeit, etwas zu spenden, gibt es hier:

https://www.startnext.com/humanness

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Erstellt:
22.09.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 42sec
zuletzt aktualisiert: 22.09.2017, 01:00 Uhr

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