Nachruf · Klaus-Peter Eichele

Ein Weltbeobachter und Romantiker

Unser Filmkritiker Klaus-Peter Eichele starb im Alter von 53 Jahren

13.10.2017

Von Ulla Steuernagel

Ein kritischer Kritiker-Blick: Klaus-Peter EichelePrivatbild

Ein kritischer Kritiker-Blick: Klaus-Peter EichelePrivatbild

Es war doch erst gestern, als „che“ anrief und sagte, er sei in Stuttgart im Krankenhaus und werde jetzt erst einmal ausfallen, denn die Ärzte hätten bei ihm Leukämie diagnostiziert. Es war zwar nicht gestern, es war Mitte August, aber es ist wie gestern. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch starb er mit 53 Jahren, nachdem die Chemotherapie sein Immunsystem lahmgelegt und er sich eine schwere Infektion zugezogen hatte.

Diesmal saß er wirklich im falschen Film. Gut, Kritiker mögen in der Regel ja kein Happy End, aber wer che’s Leben in diesem Tempo ausgepustet hat, der hat ihn, wie wir, seine Kollegen, finden, falsch besetzt.

Che, unser langjähriger und hochgeschätzter Filmkritiker, hatte auch einen richtigen Namen, die wenigsten nannten ihn aber „Klaus-Peter Eichele“. „che“ war sein Kürzel, und er hieß nicht nur für uns und im TAGBLATT so, Che passte auch perfekt zu ihm. Knapp in seiner Art, unangepasst, rebellisch, ein wenig verschroben und außerdem verschlossen. Er war ein Typ, der sich nicht verbog, der nie in Gefahr stand, sich mit seiner Klientel gemein zu machen. Eher war er bereit, sich in die Nesseln zu setzen, als jemandem nach dem Mund zu reden.

Che’s Meinung und Empfehlung war für viele Leserinnen und Leser des TAGBLATTs und des Kino-Online-Auftritts unserer Zeitung ein verlässlicher Kompass. Man vertraute seinem Urteil, seinem Blick, seinem Sachverstand und seinem enormen Filmwissen. Hinter letzterem stand eine gewissenhaft geführte Datei, die er von Computergeneration zu Computergeneration, von Festplatte zu Festplatte mitnahm und sogar verschlagwortete.

Manchmal wunderte es einen, dass es Zeiten gab, in denen er nicht Filmkritiker war. Aber er hatte ein Vorleben! Dieses trieb ihn nicht in den Zimmereibetrieb seines Vaters. Der gebürtige Gaildorfer war handwerklich nicht besonders begabt, viel lieber studierte er. Das Studium führte ihn nach Tübingen und ins Ludwig-Uhland-Institut. Als Empirischer Kulturwissenschaftler stand er dann sowieso schon mit einem Bein im Journalismus. Die Wohnform dieser Jahre war links, wild, chaotisch. Che, der damals von allen „Mutzi“ genannt wurde, war das Zentrum des WG-Betriebs. In seinem Zimmer stand nämlich der erste Computer und alle spielten daran begeistert „Tetris“.

Auch wenn che das Metier seines Vaters verweigert hatte. Im übertragenen Sinn war er durchaus Handwerker. Er hatte einfach das Handwerkszeug drauf. Die Texte, die er uns in die Redaktion schickte, waren nicht nur elegant formuliert, sondern auch fehlerfrei. Seine Kritiken waren durchdacht, mit trockenem Witz und nie mit Schaum vorm Mund geschrieben, „che“ teilte Hiebe aus, die trafen und saßen. Er drehte auch niemals unnötige Pirouetten: che mochte die Knappheit. Er leistete sich selbst als freier Journalist den Luxus, nichts zu schreiben, wenn es seiner Meinung nach nichts zu schreiben gab.

Seine Lebensgefährtin Kathrin Wesely, ebenfalls Journalistin, kennt ihn als begeisterten Wandersmann, eine Leidenschaft, die er den TAGBLATT-Kollegen gegenüber verbarg. Dass er viel und gerne reiste, das wussten wir: Madagaskar, Panama, der Ferne Osten, Australien, überall war er mit Abenteuerlust und Entdeckerfieber unterwegs. Und obwohl er ein paar filmische Jugendsünden hinterlässt (Genre: wüst, anarchistisch, experimentell): Fotografieren war nicht sein Ding. Lieber selber genau hingucken.

Wir als TAGBLATT-Redaktion haben che nicht sehr oft unter freiem Himmel gesehen. Für uns war er ein, nein, der Mann fürs Kino. Einer, der sich gerne in die Black Box zurückzog, hier die Welt betrachtete, um vor der da draußen Ruhe zu haben. Wie viel er über die Welt wusste und wie viel er in ihr erkannte, das offenbarte sich dann später in seinen Kritiken.

Im Gespräch konnte er lange dastehen und nichts sagen, und wenn er dazu noch ein leicht spöttisches Grinsen aufsetzte, konnte er sein Gegenüber ziemlich verunsichern. Er wirkte kühl und distanziert wie so mancher klandestine Romantiker. In einer schwachen Minute gestand er dann aber, dass auch er im Kino manchmal Tränchen verdrückt, dass auch er unter seinem Niveau heulen kann. Meist aber wollte er sich nicht in die Karten gucken lassen.

Hinter seiner vornehmen Zurückhaltung im Zwiegespräch hätte man nicht die Entertainer-Qualitäten vermutet, die er ebenfalls entfalten konnte. Wenn er vor größerem Publikum seinen trockenen Witz auspackte, lagen die Zuhörer/innen ihm zu Füßen. Wer ihn in den neunziger Jahren im „Club Zatopek“ des Club Voltaire oder im „Wiesengrund“ im Sudhaus erlebte, beides selbst organisierte Kulturzirkel, weiß, wovon die Rede ist.

„Che“, der in seinem Leben tausende von Filmen sah, hatte etliche Filme, von denen er nicht lassen konnte. Charles Laughtons „Die Nacht des Jägers“ von 1955 gehörte dazu. Oder gemäß seiner heimlichen, romantischen Ader: „Der Zauberer von Oz“ mit Judy Garland von 1939. Auch das französische Kino, das ihm anfangs zu bourgeois erschien und keine Liebe auf den ersten Blick war, gewann er mit der Zeit lieb. Über viele Filmfestivals, die er begleitete, wuchs ihm die Cinephonie ans Herz.

Klar, dass er auf Arthouse stand, dass er Tarantino, die Coen-Brüder, Kaurismäki und Jarmusch mochte. Dem jüngsten Jarmusch-Film „Paterson“ verlieh er die absolute Bestnote: „Die nur minimal variierte Gleichförmigkeit im Alltag des Helden“, so schrieb er vor einem Jahr, „schärft den Zuschauer-Blick für jede kleine Abweichung: jene unscheinbaren Besonderheiten des Lebens, die in 99 Prozent aller Filme links liegen gelassen werden, hier jedoch – und das vollkommen zu Recht – zum eigentlichen Quell des Glücks stilisiert werden.“ Wie recht er hatte.

Und noch mal recht hatte er leider, als er vor zwei Wochen in einer Mail schrieb: „Größere Pläne mache ich vorerst jedenfalls nicht.“

Die Trauerfeier für Klaus-Peter Eichele ist am Dienstag, 17. Oktober 2017, um 13 Uhr auf dem Fangelsbachfriedhof in Stuttgart.

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Erstellt:
13.10.2017, 20:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 56sec
zuletzt aktualisiert: 13.10.2017, 20:30 Uhr

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Herr Gscheitle 15.10.201719:55 Uhr

Ich bin schockiert von der Nachricht über Klaus-Peters Tod und kann es immer noch nicht glauben. Ein großer Filmkenner und Filmliebhaber ist von uns gegangen. Auch wenn wir unterschiedliche Geschmäcker hatten, hat es immer viel Spaß gemacht, mit ihm über Filme zu diskutieren. KP Eichele hat sich super ausgekannt, wußte immer was zu erzählen und er wird dem Filmforum vom Tagblatt sehr fehlen. RIP KP Eichele!