Elle

Elle

Isabelle Huppert spielt in dem abgründigen Drama eine Frau, die sich nach einer Vergewaltigung weigert, in die Opferrolle zu schlüpfen.

11.03.2016

Von Ulla Steuernagel

Elle

Diese Frau ist das Antiprogramm zum Opfer. Anzunehmen, sie kehrte das Rollenverhältnis nur um und würde zur Rächerin oder Täterin, wäre jedoch zu einfach für diese Meisterin der subtilen Gewalt.

„Elle“ beginnt mit einer Vergewaltigung, dabei spart der Film erst einmal die Bilder aus, der Ton macht die Brutalität. Die Bilder gesellen sich später hinzu, und sie kommen immer wieder und in neuen Variationen.

Nach der brutalen Vergewaltigung macht die allein lebende, reiche Michèle (Isabelle Huppert) – eine bourgeoise Frau, wie man sie im französischen Kino schon sehr oft gesehen zu haben glaubt – , nichts von all dem, was zu erwarten wäre. Statt zur Polizei geht sie mit beiläufiger Sachlichkeit ans Werk: Sie räumt auf, vernichtet Beweisstücke, lässt sich auf HIV testen und macht weiter, als wär‘ nichts. Die Bilder des Überfalls holen sie zwar immer wieder ein, doch sie treffen sie nicht im Kern. Michèle zeigt wenig Empathie, auch keine mit sich selber. Beim Vierer-Dinner berichtet sie kurz von dem Vorfall, aber erwartet kein Mitgefühl, ihretwegen hätte noch nicht einmal der Champagner warten müssen.

Es wäre leicht gewesen, diese Frau zu denunzieren, sie als Ausgeburt männlicher Phantasie vorzuführen, doch dazu ist diese Meisterin der Kälte zu kompliziert angelegt. Genauso idiotisch wäre es, dem Regisseur Paul Verhoeven vorzuwerfen, „Elle“ spiele den Akt der Vergewaltigung herunter. Verhoeven meistert hingegen das Hochseilkunststück, der Brutalität mit sehr reduzierten Ironie zu begegnen. In Isabelle Huppert hat er genau die Darstellerin gefunden, die Miniaturbrüche unter ihrer glatten Eisköniginnen-Oberfläche andeuten kann, ohne auch nur entfernt ins Psychologisieren zu verfallen.

Die Frau ist knallharte Chefin einer Videogame-Firma, in deren Horrorproduktionen sie die Emotionen auf die Spitze treibt. Sie ist Tochter einer sexversessenen Mutter und von bösartiger Schlagfertigkeit. Und sie ist tyrannische Mutter eines freundlichen Tollpatsches, der sich prompt den gleichen Frauentyp als Partnerin antut. Eine der lustigen Szenen des Filmes ist, wenn die Krankenschwester das Baby hochhält und es entschieden zu dunkel für eine Vaterschaft des weißhäutigen Sohnes ist. Diese Szene hätte Potenzial für eine Klamotte. Verhoeven umgeht das Klischee, indem er das Ereignis praktisch unkommentiert stehen lässt. Damit wird es zu einer neuen komischen Variante familiärer Schweigegebote.

Verhoeven ist ein Meister darin, schöne, kalte, gefährliche Frauen in Szene zu setzen. Im Gegensatz zu „Basic Instincts“ ist das Bild hier nun ironisch gebrochen. Man kann den Film dennoch kaum als Komödie bezeichnen. Der Witz ist jedenfalls von reichlich böser Natur, er könnte die eine Besucherin oder den anderen Besucher überfordern. Diese Frau ist ihrem Vergewaltiger durchaus ebenbürtig. Dass die Gewalt zwischen den beiden zum Spiel wird, überrascht daher nicht. Dass sie ihn am Ende übertrumpfen wird, ebenfalls nicht.

Verhoeven bricht nur sehr langsam das Geheimnis auf, das hinter dieser mysteriösen Frau steht. Die Geschichte eines im Blutrausch mordenden Vaters zeigt allerdings die größte Schwäche des Films. Doch vielleicht ist auch das eher als ironische Grundierung zu verstehen und weniger als Versuch zu erklären, warum diese Frau so geworden ist. Dazu müsste man weiter ausholen oder es gleich lassen.

Dieser Frau liegt der ganze Film zu Füßen. Eine Paraderolle für eine eiskalt glänzende Isabelle Huppert.

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Erstellt:
11.03.2016, 11:19 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 40sec
zuletzt aktualisiert: 11.03.2016, 11:19 Uhr

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Elli Emann 23.02.201712:20 Uhr

Ein eigenwilliger Film mit der herausragend spielenden Isabelle Huppert. Die Rolle scheint ihr auf den Leib geschrieben. Der Film bricht so ziemlich jedes Tabu, das man zum Thema "Vergewaltigung" hat. Schade finde ich allerdings, dass in der Kritik von Frau Steuernagel praktisch der ganze Film nacherzählt wird (ich habe ihn Gott sei Dank vor dem Lesen gesehen). So wird viel Spannung für die Zuschauer genommen. Trotzdem ist der Film mehr als sehenswert.