Ein „Spiel“ mit „Riesenkampf“

Eltern des querschnittgelähmten Nevio kritisieren die Krankenkasse

Ein Kind mit Behinderungen zu haben, stellt die Eltern vor große Herausforderungen. Zeitlich, organisatorisch und – trotz aller Hilfen – auch finanziell. Mehr als ärgerlich und belastend, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen Steine in den Weg gelegt werden, selbst bei nötigen Hilfsmitteln, die das Kind gesundheitlich und medizinisch dringend braucht. Einen „Riesenkampf“ führen manchmal Nina Klein-Wiele und ihr Mann Christian Kaufmann aus Wiesenstetten, die Eltern des dreieinhalbjährigen Nevio (siehe auch die Stellungnahme der DAK).

27.08.2016

Von Reinhard Seidel

Christian Kaufmann, Nina Klein-Wiele und der kleine querschnittgelähmte Nevio.Bild: sei

Christian Kaufmann, Nina Klein-Wiele und der kleine querschnittgelähmte Nevio.Bild: sei

Empfingen. Der Junge ist ein „glückliches Kind. Er schläft durch und wir würden ihn nicht eintauschen“, charakterisieren die Eltern ihren Sprössling. Nevio ist aber an Spina bifida (offener Rücken) erkrankt. Die Wunde wurde sofort nach der Geburt operativ verschlossen. Nevio ist dadurch querschnittgelähmt, besitzt einen Hydrozephalus (Wasserkopf) und sitzt im Rollstuhl. Als die SÜDWEST PRESSE die Familie besucht, spielt Nevio seelenruhig mit kleinen Autos und ahmt manchmal brummelnd das Motorengeräusch nach. Sprechen kann er nicht. Er geht aber in den Wiesenstetter Kindergarten und lernt bei einem Logopäden Gebärdensprache.

Nina Klein-Wiele (36) und Christian Kaufmann (38) räumen zwar ein, dass sie von ihrer Krankenkasse eigentlich immer alles, was dem Kind zustand, bekommen haben. Das Durchsetzten ihres oft dringenden Bedarfs spiele sich aber immer nach dem gleichen Muster, das sie „Spiel“ nennen, ab und sei stets mit einem „Riesenkampf“ verbunden.

Sie schildern dies an einem Beispiel. Nevio braucht dringend ein Skoliose-Korsett, weil seine Muskulatur den Rumpf nicht halten kann. Wenn er auf dem Boden spielt, muss er sich mit einer Hand abstützen, weil er ansonsten umfällt. Zudem bildet sich wegen der schwachen Muskulatur eine so genannte Lordose, das ist eine Krümmung der Wirbelsäule zur Seite hin. Ein Korsett ist deshalb also unbedingt nötig, damit Nevio sitzen und spielen kann wie andere Kinder und die Krümmung der Wirbelsäule nicht stärker wird.

Die Orthopädin Dr. Carmen Leichtle aus Rottenburg schrieb ein Rezept und am 15. April dieses Jahres stellte das Sanitätshaus Wurster in Freudenstadt einen Erstantrag auf Kostenübernahme bei der gesetzlichen Krankenkasse, der DAK. Einen Monat später, am 17. Mai, kam die Ablehnung direkt vom Hilfsmittelkompetenzzentrum Wetzlar der DAK .

Die DAK stellte zwar nicht den grundsätzlichen Bedarf in Frage. Sie bezweifelte aber , dass Nevio ein spezielles, rund 180 Euro teureres Korsett braucht, nicht die Standardausführung. So schrieb das Ehepaar einen Widerspruch, was für sie sehr zeitintensiv sei, und die DAK bestätigte den Eingang am 15. Juni. Es mussten die ganzen Unterlagen nochmals zur Nachprüfung zum Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) geschickt werde.

Eltern sind mittlerweile „bissig“ geworden

Die Orthopädin und die Tübinger Kinderklinik mussten bestätigen, dass Nevio wegen seiner Querschnittlähmung eben die spezielle, teurere Korsett-Ausführung benötigt und das Sanitätshaus musste ein weiteres Mal beschreiben, warum gerade dieses Korsett. Die DAK teilte dem Ehepaar mit, dass es bis am 20. Juli mit einem Bescheid rechnen könne.

Nichts geschah und nach mehreren Telefonaten der Mutter drohte Christian Kaufmann der DAK am Freitag, 29. Juli, mit dem Einschalten eines Rechtsanwalts und der Presse. Gleichzeitig stellte er ein Ultimatum bis Dienstag, 2. August. Und siehe da: Am Montag, 1. August kamen zwei Anrufe – das Korsett war bewilligt.

Dieser Kampf mit der Krankenkasse und Behörden wiederhole sich ständig, versichern Nina Klein-Wiele und Christian Kaufmann.

Als Nevio eineinhalb Jahre alt war, wurde im Frühjahr beispielsweise ein spezieller Stuhl fürs Duschen und Baden verschrieben. Die Eltern hofften, dass Nevio im Sandkasten spielen könne und Erwachsener ausreicht, um Nevio zu duschen. Bewilligt wurde dieser im Herbst.

Und so befürchten die Eltern, dass es auch Verzögerungen mit der Gehorthese geben wird. Dieses starre, medizinisches Hilfsmittel mit eingebauten Gelenken für beide Beine, ermöglicht dem gelähmten Jungen das Stehen und Gehübungen und muss ständig dem Wachstum angepasst werden. Dies sei eine Zeitlang problemlos möglich. Alle ein- bis eineinhalb Jahre braucht Nevio aber eine neue Orthese, die aber wieder verschrieben werden muss. Aber wann? Die Eltern können doch nicht schon Monate vorher quasi auf Verdacht eine aus Angst davor verschreiben lassen, dass die Stütze nicht rechtzeitig bewilligt wird.

„Wir sind mittlerweile sehr bissig geworden“, gibt Kaufmann zu. „Der Kampf macht mürbe, aber unterkriegen lassen wir uns nicht.“

Eine gute Neuigkeit ist, dass das Sozialamt für Nevio einen Begleiter gebilligt hat, der den Jungen spätestens ab Herbst dreieinhalb Stunden jeden Vormittag im Kindergarten begleiten wird. Nina Klein-Wiele hatte erfahren, dass es im Kreis Tübingen diese Begleiterinnen und Begleiter zur inklusiven Betreuung gibt und beim zuständigen Sozialamt im Kreis beantragt.

Schon seit November 2015 unterstützt und begleitet eine pädagogische Integrationsfachkraft Nevio zwei Mal drei Stunden pro Woche. Nur so konnte er bisher sechs Stunden lang den Wiesenstetter Kindergarten besuchen.

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Erstellt:
27.08.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 27.08.2016, 01:00 Uhr

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