Auf den Gräbern getanzt

Ergenzinger Schüler fuhren zur Weltkriegs-Gedenkfeier nach Verdun

4000 Schüler aus Deutschland und Frankreich tanzten am Sonntag, 100 Jahre nach der Schlacht von Verdun, auf den Gräbern der gefallenen Soldaten. 16 Siebt- und Achtklässler der Ergenzinger Gemeinschaftschule waren dabei und erlebten deutsch-französische Freundschaft hautnah.

01.06.2016

Von Dunja Bernhard

16 Jugendliche der Ergenzinger Gemeinschaftschule fuhren mit Schulleiterin Isabelle Vogt (sechste von links) zur Gedenkfeier „100 Jahre Schlacht von Verdun“.Privatbilder

16 Jugendliche der Ergenzinger Gemeinschaftschule fuhren mit Schulleiterin Isabelle Vogt (sechste von links) zur Gedenkfeier „100 Jahre Schlacht von Verdun“.Privatbilder

Ergenzingen. Auf der Leinwand im Klassenzimmer lief gestern Mittag der Film, den RT France am Sonntag in Verdun drehte und auf Youtube stellte. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande gedachten in einer Zeremonie der deutsch-französischen Schlacht um Verdun im Mai 1916.

Statt Worten ließ der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff eine Choreografie mit 4000 Schülerinnen und Schülern sprechen. Zu Schlägen auf schwarzen Ölfässern liefen die Jugendlichen von zwei Seiten durch die weißen Kreuze aufeinander zu, kämpften in der Mitte miteinander und fielen nach dem Schuss des herumstolzierenden Sensenmanns zu Boden, wo sie zunächst liegen blieben.

Doch dieses Mal siegte der Tod nicht. Die Jugendlichen standen wieder auf und riefen: „Wir sind jung. Wir sind da. Wir bleiben.“ Auf Deutsch, Französisch und Englisch.

Teil von etwas ganz

Großem geworden

Bis kurz vor der Veranstaltung hatte es stark geregnet, erzählen die Jugendlichen. Bei der Generalprobe hatten sie alle Regencapes übergestreift. Der Boden war von vielen Schritten aufgeweicht und matschig. Da sollten sie sich hineinlegen? Kurz kamen ihnen Zweifel.

Sie seien eh schon ganz dreckig, ermunterte die Ergenzinger Rektorin Isabelle Vogt ihre Schüler. „Zeigt den Staatsoberhäuptern, dass Ihr gut schauspielern könnt.“ Es gehe um diesen einen Moment. „Ihr werdet Teil von etwas ganz Großem. Auf diese weitere Pfütze kommt es nicht an.“ Das überzeugte die Jugendlichen.

Nach der Aufführung kam es dann ganz spontan zu einer weiteren Aktion, erzählte Stella gestern. Auf dem Weg zurück durch die Kreuze blieben einige Jugendliche plötzlich vor den Gräbern stehen, fassten sich an den Händen. Es bildete sich eine lange Menschenkette. „Diese Gemeinschaft war ein schönes Gefühl“, sagte Stella.

Als besonderes Erlebnis schilderten die Jugendlichen, dass sie Angela Merkel und Francois Hollande mal „in Echt“ echt gesehen haben – wenn auch nur aus der Ferne. Pietro beeindruckte, wie freundlich sie miteinander umgegangen sind. Vor hundert Jahren haben sich Deutsche und Franzosen in Verdun abgeschlachtet, sagte Eric. „Heute geben sie sich dort die Hand.“

Der deutsch-französischen Verständigung sollte auch das fünftägige Camp dienen, an dem die Ergenzinger mit 2000 weiteren Schülern teilnahmen. Jede Klasse bekam eine Partnerklasse aus dem anderen Land zugeteilt. Die der Ergenzinger kam vom College Mozart aus Bois d‘Arcy. Alle Programmpunkte absolvierten die Partnerklassen gemeinsam: Standbilder zum Thema Krieg und Frieden erdenken, Museumsbesuch, Theateraufführung.

Bombenspürhunde

in den Zelten

Die langen Busfahrten zu den Veranstaltungsorten waren eine gute Gelegenheit sich kennenzulernen. Auf Deutsch, Englisch, Französisch und „notfalls mit Händen und Füßen“ unterhielten sich die Schüler. „Wir haben richtig gute Freunde gefunden“, sagte Melisa. Es fühle sich an, als kenne sie sie schon seit Jahren und nicht nur fünf Tage. Über Whats-App, Snapchat und Facebook wollen die Schüler weiterhin Kontakt halten.

Dass die Gemeinschaftsschule Ergenzingen als eine von zwölf baden-württembergischen Schulen zum Zuge kam, lag wohl auch daran, dass Isabelle Vogt Französischlehrerin und Schulleiterin in einer Person ist. Als Anfang März die Anfrage vom Regierungspräsidium kam, zögerte sie nicht lang mit einer Zusage.

Kurz darauf verübten drei Selbstmordattentäter Terroranschläge in Brüssel. Viele Eltern und Schüler waren verunsichert, erzählte Vogt. Einige sagten ab.

Die Sicherheitsvorkehrungen in Verdun waren beeindruckend, sagte die Schulleiterin. Das gesamte Camp war eingezäunt. Polizisten bewachten die Zugänge. Der an den Zeltplatz angrenzende See wurde von Tauchern durchsucht. Wenn die Kinder mit Bussen oder zu Fuß unterwegs waren, begleiteten sie Polizei-Eskorten. Morgens um fünf Uhr durchsuchten Bombenspürhunde die Zelte, während viele Schüler noch schliefen.

„Am Anfang war es ungewohnt mit den vielen Polizisten“, erzählte Mailin. Später habe sie sie gar nicht mehr bemerkt. „Wir haben uns total sicher gefühlt“, ergänzte Noemi.

Die Unterbringung in großen Zelten mit Feldbetten erinnerte die Ergenzinger Schüler an Flüchtlingsunterkünfte.

Die Unterbringung in großen Zelten mit Feldbetten erinnerte die Ergenzinger Schüler an Flüchtlingsunterkünfte.

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Erstellt:
01.06.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 52sec
zuletzt aktualisiert: 01.06.2016, 01:00 Uhr

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