Trauerkultur

Es geht auch ums Leben

Romy Beiter wollte einen Beruf, der mit Menschen zu tun hat. Deshalb wurde sie Bestatterin. Jetzt macht sie sich in Empfingen selbstständig.

09.02.2017

Von Kathrin Löffler

Baut noch ihre neuen Räume aus: Bestatterin Romy Beiter. Bild: Löffler

Baut noch ihre neuen Räume aus: Bestatterin Romy Beiter. Bild: Löffler

Es geht um den Tod. Die Reaktion klingt wie ein langgezogenes „Uuh“. Ein bisschen nach Abscheu, ein bisschen nach Ressentiment. Romy Beiter hört diesen Laut oft. Immer dann, wenn sie neue Menschen kennenlernt und verrät, was sie beruflich macht. Romy Beiter ist Bestatterin. Wenn sie damit erst einmal herausgerückt ist, ändert sich das Verhalten ihrer Gegenüber aber schnell: von Verwunderung zu Neugier. Die Leute wollen alles wissen. „Das Resultat ist meistens, dass ich den ganzen Abend bestreiten und erzählen muss.“

Bedrohlich, bedrückend, vielleicht ein wenig gruselig: Wohl kaum einem Metier haftet so ein Vorbehaltsrucksack an wie dem des Bestatters. Beiter sagt: „Die Leute haben das Bild eines älteren Herren in dunklen Klamotten im Kopf.“ Romy Beiter ist alles andere als ein älterer Herr in dunklen Klamotten: 28, Perlenohrringe, Dutt-Frisur. Zur Zeit trägt sie dazu strapazierfähige Arbeitsklamotten. In einem Gewerbegebäude in der Julius-Bauser-Straße richtet sie sich ihr eigenes Bestattungsunternehmen ein. Unterstützung bekommt sie von Eltern und Brüdern. Auf 184 Quadratmetern entstehen ein Büro, ein Raum für Abschiede und Aufbahrungen, ein Beratungszimmer und Kühlmöglichkeiten mit Platz für bis zu drei Verstorbene. Bis Ende März soll alles fertig sein.

Die Nachbarn hat Beiter vorab informiert. In Empfingen seien die Reaktionen sehr positiv gewesen, niemand habe sich an ihren Plänen gestört. Fragen gibt es freilich ab und an. „Äschern Sie hier auch ein?“ zum Beispiel (nein, tut sie nicht). Beiter kann eine gewisse Besorgnis nachvollziehen. Das Thema Bestattung ist keines zur Freizeitbeschäftigung. Sie selber will offen mit dem umgehen, was sie macht. „Wenn man die Leute aufklärt, äußern sie auch Verständnis.“

Romy Beiter arbeitete früher als Justizfachangestellte. Das war nichts für sie: zu viel Bürogeschäft, zu fad. Auf ihrer Stelle beim Horber Notariat bekam sie aber viel vom Nachlasswesen mit. Das brachte sie auf die Idee, ein Praktikum bei einem Nürtinger Bestatter zu machen – Volltreffer. Beiter ließ sich zur Bestattungsfachkraft ausbilden. Die vergangenen vier Jahre war sie in einem Unternehmen in Stuttgart beschäftigt. Jetzt zieht es die gebürtige Mühringerin in die Heimat: „Ich bin ein Dorfkind.“

Romy Beiter sagt, sie suchte einen Beruf, der viel mit Menschen zu tun hat. Andere werden da Kindergärtnerin, Sozialarbeiterin, Journalistin. Denn die Menschen, mit denen es Bestatter zu tun haben, sind eben auch: verstorbene Menschen. Beiter überführt sie vom Sterbeort, dem Krankenhaus oder Altenpflegeheim etwa, wäscht sie, kleidet sie an, bettet sie in den Sarg ein. Das macht aber nur 20 Prozent ihrer Arbeit aus. Hauptsächlich berät sie die Angehörigen, überlegt mit ihnen, welcher Sarg passt oder wie die Trauerfeier gestaltet sein soll, erledigt Formalitäten. Ein stiller Begleiter sein, der im Hintergrund alles regelt, Menschen in schwierigen Situationen stressige Bürokratie abnehmen, Menschen unterstützen: So begreift Romy Beiter ihren Beruf.

In Berufen aber können Handgriffe zu Automatismen, kann Besonderes zu Gewöhnlichem werden. Beiter sagt: „Jeder Beruf wird zur Routine.“ Als Bestatter dürfe die Routine nur keine extremen Ausmaße erreichen, sonst leide die Ethik. „Wir betrachten jeden Verstorbenen als Menschen und Individuum und behandeln ihn so“, sagt Beiter – laut Gesetz nämlich werden Menschen mit ihrem Tod zu einer Sache.

Und der Tod spielt sich zunehmend auf einem Markt der Möglichkeiten ab. Asche-Teile von Verstorbenen können inzwischen zu Diamanten veredelt, per Rakete in den Weltall geschossen oder von einem Heißluftballon im Himmel verstreut werden – für solche Wünsche hat Beiter Partnerunternehmen. Bei ihrem vorherigen Arbeitgeber organisierte sie die Abschiedsfeier für ein Motorradclub-Mitglied. Alle trauernden Kumpels kamen in Kutte. Die Urne stand neben einem Miniatur-Bike. Es lief „Highway to hell“. In ländlichen Gebieten fielen die Anfragen aber noch eher konservativ aus.

Doch die Gegenwartsgesellschaft mit ihren Sonderwünschen ist auch eine besonders atemlose. Viele Termine, schnelle Alltage, kaum Zeit. Schon gar nicht für den Tod. „Der Tod scheint heute etwas Lästiges, das man schnell rumkriegen muss“, sagt Beiter. Das möchte sie ändern. Für Trauerkultur sensibilisieren: „Es ist wichtig, dass man sich Zeit für Abschiede nimmt.“

Einmal kam ein Ehepaar zu ihr, um seine Bestattungen vorab zu regeln, sogar um seine Traueranzeigen zu schreiben. Er 104, sie 102 Jahre alt, beide zwei Weltkriege im Gedächtnis. Beiter war beeindruckt: von den Persönlichkeiten, von der Lebensfreude der beiden.

Überhaupt, das Leben: Als Bestatter lerne man das von einer anderen Seite kennen. Der Beruf mache dankbar. Beiter kann morgens aufstehen und sich bewusst sein, dass ihr nichts fehlt. Worum geht es also bei ihrer Arbeit: ums Leben oder um den Tod? Romy Beiter sagt: „Um beides.“

Es geht auch ums Leben

Friedrichson hat das Vorrecht auf dem Friedhof

Um in dem Gebäude in der Julius-Bauser-Straße ein Bestattungsunternehmen einrichten zu können, musste Romy Beiter eine Nutzungsänderung beantragen. Der Gemeinderat hat dem am Dienstag zugestimmt. Für Tätigkeiten auf dem Friedhof liegt das Exklusivrecht allerdings bei Friedrichson. Zwischen dem Horber Bestattungsunternehmen und der Gemeinde besteht ein Werkvertrag.

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Erstellt:
09.02.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 09.02.2017, 01:00 Uhr

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