Bloß keinen Betroffenheits-Kitsch

Für seinen Debütfilm „Babai“ ließ sich Visar Morina vom eigenen Flüchtlingsschicksal inspirieren

Gemessen an Festivalpreisen zählt das Flüchtlingsdrama „Babai“ zu den erfolgreichsten deutschen Filmen der letzten zwölf Monate. Am Montag präsentierte der aus dem Kosovo stammende Regisseur Visar Morina, der auch mal in Tübingen gelebt hat, sein Langfilm-Debüt im Rottenburger Waldhorn-Kino.

31.05.2016

Von Klaus-Peter Eichele

Nori (Val Maloku) reist dem Vater, der sich heimlich aus dem Staub gemacht hat, auf eigene Faust hinterher.Bild: Verleih

Nori (Val Maloku) reist dem Vater, der sich heimlich aus dem Staub gemacht hat, auf eigene Faust hinterher.Bild: Verleih

Tübingen. Es ist ein wenig in Vergessenheit geraten, dass schon in den 1990-er Jahren Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, vor allem aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Visar Morina erinnert sich allerdings noch sehr gut daran, denn er war einer von ihnen. Im Dezember 1994 floh der damals 15-Jährige mit Mutter und Brüdern aus dem serbisch beherrschten Kosovo nach Deutschland. Die ersten Jahre verbrachte er in Herrenberg. Die Erfahrung der Flucht und seiner Ankunft in einem fremden Land wurden zur Basis von Morinas Debütfilm „Babai“ („Vater“), der seit seiner Premiere im Vorjahr auf rund 70 Festivals gezeigt wurde und an die 20 Preise gewonnen hat.

„Babai“ erzählt die Geschichte eines ziemlich verkorksten Vater-Sohn-Verhältnisses. Der allein erziehende Zigarettenverkäufer Gezim (Astrit Kabashi) will den politisch und wirtschaftlich instabilen Kosovo in Richtung Deutschland verlassen; sein halbwüchsiger Sohn Nori (Val Maloku) soll bei Verwandten in der Heimat bleiben. Doch dabei spielt der Junge, der den Papa abgöttisch liebt, nicht mit. Nachdem sich der Vater heimlich aus dem Staub gemacht hat, reist der Jugendliche ihm auf eigene Faust hinterher. Als er ihn in Köln tatsächlich ausfindig macht, hält sich die Wiedersehensfreude entgegen Noris Erwartungen jedoch in Grenzen. Bei der Suche nach Obdach und Arbeit erweist sich der klammernde Sohn als Klotz am Bein. „Die Verhältnisse“, erklärt Morina im Interview, „sind eben nicht so, dass ein Vater seine väterlichen Pflichten erfüllen kann.“

Laut Morina ist „Babai“ ein „sehr persönlicher, aber kein autobiografischer Film“. Anders als bei Nori, sei seine eigene Flucht relativ undramatisch verlaufen und mit seinem Vater habe er keine Probleme. „Atmosphärisch ist aber alles genau so, wie ich es empfunden habe“, erzählt er. Politik, sei es das Wüten des Milosevic-Regimes im Kosovo oder der teils schäbige Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland gerade in den 1990-er Jahren, spielt in der Erzählung eine untergeordnete Rolle. „Solche Anklagen geraten leicht zum Betroffenheits-Kitsch“, meint Morina. Aus dem gleichen Grund habe er auch den Fluchtweg des Jungen übers Mittelmeer so knapp wie möglich geschildert. Das Thema des Films sei ohnehin ein anderes, universelleres: „Für mich kämpft Nori um die Wiederherstellung des Urvertrauens, das er durch den Verrat seines Vaters verloren hat.“

Dabei hätte Morina durchaus Gründe gehabt, sich filmisch über deutsche Flüchtlingspolitik zu mokieren. Nach seiner Ankunft musste er ein Jahr in einem Flüchtlingsheim zubringen, ehe er zu seinem Vater, der schon länger in Deutschland lebte, ziehen durfte. „Wenn man ein Jahr in einem Heim mit lauter traumatisierten Menschen lebt, lernt man ein Land nicht von seiner schönsten Seite kennen“, sagt er. Später steckte eine Sachbearbeiterin im Herrenberger Ausländeramt, die Migranten aus dem Kosovo offenbar generell nichts zutraute, den bildungshungrigen jungen Mann gegen seinen Willen in die Hauptschule. Von dort musste er sich mühsam über die Realschule zur Fachhochschulreife vorkämpfen. Das Abitur hat er bis heute nicht.

Mit Film hatte Morina zu dieser Zeit noch überhaupt nichts am Hut. „Ich war mit 18 Jahren zum ersten Mal im Kino. Den Film fand ich so schlecht, dass ich erst einmal eine Pause eingelegt habe“, erzählt er. Dafür entbrannte eine heiße Liebe zu Literatur und Theater, speziell zu Brecht, die ihn auch zu einer Hospitanz ins Tübinger Landestheater führte. Im Leibnizhaus auf dem Österberg schlug er für zweieinhalb Jahre seinen Wohnsitz auf. Nach einer weiteren Theater-Station in Köln wurde Morina schließlich zu seiner eigenen Überraschung von der dortigen Kunsthochschule für Medien angenommen. Den Bewerbungsfilm hatte er eher beiläufig auf Streifzügen durch die Stadt gedreht. Inzwischen kennt sich Morina in der Filmhistorie aber ziemlich gut aus. Für seinen Debütfilm ließ er sich vor allem vom italienischen Neorealismus inspirieren.

Nach dem großen Erfolg mit „Babai“ dürfte Morina inzwischen wohl als Musterbeispiel einer gelungenen Integration gelten. Er selbst ist da skeptisch. „Wenn ich Integration höre, habe ich immer den Eindruck, ich müsse mir ein Kostüm überziehen“, sagt er. Auch schimmert im Gespräch durch, dass sein wenig ersprießlicher Start in Deutschland nicht spurlos vorübergegangen ist. „Pegida finde ich eigentlich gut, weil dadurch deutlich wird, dass Rassismus und Ausländerfeindlichkeit nicht nur am rechten Rand existieren, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft“, gibt er zu Protokoll. Und auf die Frage, ob sich Deutschland in letzter Zeit zum Guten verändert habe: „Ich möchte heute genauso wenig ein Flüchtling sein, wie ich vor 20 Jahren gerne einer war“. Ein bisschen irritiert ist Morina auch von der Tatsache, dass „Babai“ trotz seiner Festivalerfolge beim Deutschen Filmpreis, der vorige Woche verliehen wurde, überhaupt keine Rolle gespielt hat. „Aber dieses Schicksal teilt er mit einigen anderen guten Filmen“.

Immerhin falle es ihm dank „Babai“ jetzt relativ leicht, das Geld für sein kommendes Projekt, eine Mobbinggeschichte ohne jeden Flüchtlings-Background, aufzutreiben. Gelohnt hat sich der Film auch für den jungen Hauptdarsteller Val Maloku, den Morina in einer Schule im Kosovo entdeckt hat. Ihn sieht man demnächst in der internationalen Großproduktion „The Zookeeper’s Wife“ an der Seite von Daniel Brühl und Jessica Chastain.

Info: „Babai“ läuft noch einmal am Montag, 20. Juni, um 18.30 Uhr im Tübinger Kino Arsenal.

Regisseur Visar Morina

Regisseur Visar Morina

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Erstellt:
31.05.2016, 20:04 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 41sec
zuletzt aktualisiert: 31.05.2016, 20:04 Uhr

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