Brau-Manufaktur

Hochkaräter auf der Alb

Speidels Brau-Manufaktur hat 1994 in Ödenwaldstetten die Bier-Tradition der Vorfahren wiederbelebt. Mit seinen Bierseminaren hat Wolfgang Speidel eine Attraktion geschaffen, die mittlerweile sogar Manager von Großkonzernen zum Brauen auf die Schwäbische Alb lockt. Tendenz steigend, der nächste Ausbauschritt wird derzeit geplant.

22.07.2016

Von Thomas de Marco

Das neue Hotel von Speidels Braumanufaktur. Bild: Horst Haas

Das neue Hotel von Speidels Braumanufaktur. Bild: Horst Haas

Ödenwaldstetten. Das klingt nicht gerade nach einem Sehnsuchtsort. Oder nach einem sonstwie attraktiven Fleckchen Erde. Und doch geben sich hier in dem Dorf auf der Schwäbischen Alb mit seinen knapp 600 Einwohnern renommierte Unternehmen aus Deutschland und der Schweiz, Dax-Konzerne und Geschäftsleute aus China, Japan, USA, Skandinavien oder Brasilien die Klinke in die Hand. Doch wie hat es die Familie Speidel geschafft, den elterlichen Betrieb zu einem 4-Sterne-Hotel mit Tagungsräumen auszubauen, der regelmäßig sogar Großkonzerne auf die Alb lockt?

Wolfgang Speidel, 58, der in Karlsruhe Betriebswirtschaft studiert hat und mit seinem für die Küche zuständigen Bruder Dieter den elterlichen Betrieb 1989 übernommen hat, nennt drei wesentliche Standortvorteile, die Ödenwaldstetten bietet: die Nähe zum 42 Kilometer entfernten Stuttgarter Flughafen, das fehlende Nachtleben des Albdorfs (laut Speidel „ein sexuelles Notstandsgebiet“) sowie die nur rund 20 Kilometer lange Anfahrt zur Metzinger Outlet-City. Für Firmen sei wichtig, „dass wir hier gut erreichbar, aber trotzdem abgeschieden sind. Hier können sie in Ruhe tagen“, erklärt Speidel.

Doch diese Faktoren alleine reichen nicht aus, um die Erfolgsgeschichte zu erklären. Als große Zugnummer erwiesen sich die Bierseminare, die der Braumeister seit Mitte der 1990er-Jahre anbietet. Anfangs kamen Tennisclubs, Musikvereine oder die Feuerwehr mit Gruppen von etwa zwölf Leuten zu ihm auf die Alb, um ihr Bier selber zu machen. Allerdings dauert die Prozedur gut sieben Stunden – lange Wartezeiten, etwa beim Hopfenkochen, inbegriffen. Um diese Zeiten zu füllen, entdeckte Speidel sein Unterhaltungstalent: Er lässt ganz besondere Biersorten probieren, referiert über die Bierjahreszeiten von Märzen über Urtyp, Maibock bis Weihnachtsbier oder pöbelt gegen das Pils („empfehle ich nur zur Möbelpolitur oder zur Schneckenbekämpfung“). Gut die Hälfte der Zeit bestreitet er mit seiner Moderation, bei der er sich am Volkstheater „Mäulesmühle“ orientiert.

Selbstverständlich gehört auch ein Essen zum Bierseminar. Schnell hat Speidel erkannt, dass er mit einem hochpreisigen Angebot unliebsame Klientel, die zu ungestümer Zecherei mit negativen Begleiterscheinungen neigt, von seinen Seminaren fernhalten kann. So stehen jetzt drei viergängige Menüs zur Auswahl, ein Brau-Abend von 18 bis 23 Uhr kostet je nach Saison zwischen 140 und 200 Euro pro Person.

Den Durchbruch schaffte Speidels Bier-Manufaktur Ende der 1990er-Jahre, als die Firma Hewlett und Packard auf die Seminare aufmerksam geworden war und sich ihre Vertriebsabteilung mit einigen Geschäftskunden in die Brau-Geheimnisse einweihen ließ. Von da an sprach sich das Ödenwaldstetter Event in Unternehmenskreisen herum, Daimler, Bosch oder Brillux schickten Mitarbeiter und Führungskräfte zum Bierbrauen auf die Alb. Porsche hat schon dreimal das gesamte Haus für mehrere Tage gemietet, um Autojournalisten aus der ganzen Welt neue Fahrzeuge zu präsentieren.

Allerdings merkten die Speidels rasch, dass die fehlenden Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort ein großes Problem waren. Zunächst lösten sie das mit Shuttlediensten zu Hotels in der Region, in der die Seminarteilnehmer logierten. Doch dann entschlossen sich die Betreiber, ein eigenes Hotel zu bauen, das 2005 mit 45 Zimmern in Betrieb ging.

Der Neubau mit sechs Seminarräumen hat sich gelohnt: Mittlerweile waren laut Speidel fast alle im Dax notierten Unternehmen schon zu Tagungen in Ödenwaldstetten – nach wie vor buchen viele die Bierseminare selbstverständlich mit. 2015 hat Speidel wieder über 200 dieser Veranstaltungen moderiert, 70 Prozent davon für Firmen.

Doch die stellen nicht nur hohe Ansprüche an Unterkunft oder die Küche, sondern wollen auch die perfekte Infrastruktur. „Wir geben hier alleine für Highspeed-Internet 400 Euro im Monat aus“, sagt der Braumeister. Das Hotel hat immer vier Internet-Anbieter gleichzeitig laufen, 60 bis 80 Rechner können unter Volllast Daten absaugen. „Wir brauchen immer das Beste auf diesem Gebiet. Wer da nicht investiert, wird ganz einfach abgehängt“, erklärt Wolfgang Speidel. Sein Haus sei immer mit den Ansprüchen der Kunden mitgewachsen.

Weil viele Unternehmen immer wieder nach Ödenwaldstetten kommen, will sich der Geschäftsführer auch nicht auf seiner bierseligen Idee ausruhen: „Wir müssen uns permanent neu erfinden.“ Schon alleine deshalb, weil das Bierseminar beim dritten Besuch in Ödenwaldstetten vielleicht nicht mehr so spannend ist wie zu Beginn. Deshalb dürfen Manager oder zahlungskräftige Gäste seit einigen Jahren den Bauern in sich entdecken: Mit der Hofkäserei Rauscher bietet Speidel eine Hof-Olympiade mit Traktor fahren und Kühe melken an. „Auch das läuft sehr gut“, sagt der Braumeister.

Das Bierbrauen in Ödenwaldstetten hat aber nichts von seiner Attraktion eingebüßt. Immer mehr internationale Gäste aus China, Japan, Skandinavien, Brasilien oder USA zu Speidels Brau-Manufaktur gelotst – Simultanübersetzungen beim Bierseminar inklusive. „Die Leute kommen inzwischen aus der ganzen Welt zu uns, wir sind nicht mehr vom regionalen Markt abhängig“, sagt der Geschäftsführer. Und immer noch gibt es genügend Firmen, die Speidels Brau-Manufaktur neu entdecken.

Auch Vereine aus ganz Deutschland sind mittlerweile auf das außergewöhnliche Haus in Ödenwaldstetten aufmerksam geworden: Ein Kieler Segelclub hat ebenso wie die Hamburger Hafengesellschaft schon bei Speidel Bier gebraut, neulich haben 12 Brokerinnen aus Frankfurt in der Brau-Manufaktur eingecheckt.

Um die steigende Nachfrage bedienen zu können, wollen die Betreiber demnächst ihr Hotel erweitern: Ein neuer Anbau mit 20 bis 30 Zimmern sowie drei weiteren Seminarräumen, die bis zu 400 Quadratmetern umfassen sollen, wird derzeit geplant. „Wenn alles gut läuft, können wir 2018 mit dem Bau beginnen“, sagt Wolfgang Speidel.

Braumeister Wolfgang Speidel. Bild: Horst Haas

Braumeister Wolfgang Speidel. Bild: Horst Haas

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Erstellt:
22.07.2016, 08:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 43sec
zuletzt aktualisiert: 22.07.2016, 08:00 Uhr

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