Innen Leben

Innen Leben

In dem Kammerspiel verbarrikadieren sich neun Syrer vor den Gräueln des Kriegs in einer Wohnung.

23.04.2017

Von Dorothee Hermann

Innen Leben

Im sechsten Jahr des Bürgerkriegs in Syrien ist der belgische Regisseur Philippe Van Leeuw das Wagnis eingegangen, einen Spielfilm über die eingeschlossenen Zivilisten zu drehen – reduziert auf eine Familie, ihre philippinische Hausangestellte und den Freund der Teenie-Tochter. Er kann nicht mehr nach Hause, weil ein Scharfschütze das Gebäude im Visier hat.

Ein alter Mann steht am Fenster, durch das man kaum etwas sieht, weil dichte Vorhänge verhindern sollen, dass die Bewohner zu Zielscheiben werden. Im Hintergrund sind Gewehrfeuer und bedrohlich starke Hubschraubermotoren zu hören. Die Kampfgeräusche signalisieren den Eingeschlossenen, dass auch sie sich nie mehr sicher fühlen können.

Eine Frau kommt in die Küche, stellt fest, dass das Wasser abgestellt ist und behilft sich mit dem blauen Plastikfass. Das Leben in der geräumigen Wohnung erscheint trotz solcher Provisorien erstaunlich geordnet. Das liegt an Oum Yazan (verkörpert vom palästinensischen Star Hiam Abbas), die mit an Härte grenzender Disziplin und Willensstärke die Moral der Familie aufrechterhält. Sie tischt regelmäßig Mahlzeiten auf und wacht darüber, dass kein Wasser verschwendet wird.

Erst recht reibt man sich die Augen, als die Kamera in das blau gestrichene Zimmer des jungen Paars mit dem Baby schwenkt. Man ahnt, wie viel Stärke die beiden besitzen müssen, um ihrem kleinen Sohn unter diesen Umständen eine unbeschwerte Umgebung zu bieten.

Es wird deutlich, warum sich Menschen noch unter Lebensgefahr an ihre Wohnung klammern – als wäre die schöne Tasse oder das iPod ein Pfand gegen die totale Entwurzelung eines Lebens als Flüchtling und Habenichts – oder gegen den Tod.

Solche Beobachtungen sind es, die den Film von Philippe Van Leeuw bemerkenswert machen. Bei der Berlinale trug ihm das den Publikumspreis ein. Der Regisseur greift auf, was ihm ein Flüchtling aus Aleppo berichtet hat. Gedreht wurde im Libanon.

Anfangs gibt es unter den Eingeschlossenen noch kleine Inseln der Zuneigung. Der Großvater unterrichtet jeden Morgen seinen Enkel, und seine Augen leuchten, wenn der Junge ihm etwas zu essen bringt. Aber irgendwann kann sogar die Matriarchin Oum Yazan den Krieg nicht mehr draußen halten, und der Kinobesucher ist genauso zum untätigen Zuschauen verdammt wie diejenigen Familienmitglieder, die der Gewalt nicht direkt ausgesetzt sind.

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Erstellt:
23.04.2017, 22:02 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 09sec
zuletzt aktualisiert: 23.04.2017, 22:02 Uhr

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