Kriminalität

Massaker im Taubenschlag

Die Kleintierzuchtanlage in Empfingen ist am Wochenende Schauplatz eines besonders bestialischen Gemetzels von Lebewesen geworden: Ein unbekannter Täter hat 60 Tauben geköpft.

19.05.2017

Von Kathrin Löffler

Massaker im Taubenschlag

Der Täter muss im Rausch gehandelt haben. Zumindest, wenn man aus dem Bild schließt, das sich Erika Farle vor fünf Tagen auf ihrer Parzelle in der Kleintierzuchtanlage bot. „Hier lag alles voller Tauben ohne Kopf“, sagt die 58-Jährige. „Mich hat fast der Schlag getroffen.“ Und die ritualisierte Anordnung lässt auf ein besonders perfides Vorgehen schließen. „Auf der einen Seite lagen die toten Tauben, auf der anderen die Köpfe“, sagt der Vereinsvorsitzende Arthur Hellstern. „Es sah aus wie auf dem Schlachtfeld.“

Farle entdeckt das Gemetzel am Sonntagabend. Die Empfingerin war mit ihrem Hund zur Züchteranlage gelaufen, um ihre Tiere zu füttern. Wie jeden Tag. Dort besitzt sie eine kleine Wiese, vier auf sechs Meter, drauf steht eine kleine Hütte mit Taubenschlag. Am Sonntag lagen dort 60 tote Tauben mit abgerissenen Häuptern, dazu noch eine erschlagene Henne und ein erschlagener Gockel. Die Gurgel habe ihnen allen noch herausgehangen, sagt ein Züchternachbar. „Ich habe nur noch geheult“, sagt Farle. „Das war wie so ein Killerkommando.“ Sie verständigte ihren Vereinskollegen Jürgen Fuchs, auch Taubenzüchter, der wiederum rief Hellstern an.

Der Vorstand und Farle sind überzeugt: Ein unbekannter Täter muss in der Nacht von Samstag auf Sonntag in die Kleintierzuchtanlage eingedrungen sein. Dort hat er dem Geflügel die Köpfe abgerissen. Hellstern schließt wegen der nahezu schematischen Anordnung der enthaupteten Tiere – die Köpfe links, die Rümpfe recht – einen tierischen Verursacher aus: „Das war definitiv kein Marder, das sieht anders aus.“ Laut Hellstern müsse die Massenhinrichtung „wie am Fließband“ verlaufen sein. Er glaubt, die Tiere seien per Hand massakriert worden: „Der Schlund hat richtig herausgeguckt. Als ob man daran gezogen hätte.“ Hellstern vermutet auch, dass sich die Gewaltorgie eine Weile hinzog: „So etwas macht man nicht geschwind in zehn Minuten.“ Dass der Taubenmord nachts erfolgte, ist für ihn sicher – da säßen die Tiere auf der Stange, „man kann sie herunterpflücken wie einen Apfel“. Bei Tag flögen sie weg.

Der Anblick am Sonntag muss grauenhaft gewesen sein. „Das war richtig makaber. Eine Riesenschweinerei. Das übersteigt jede Vorstellung“, sagt Arthur Hellstern. Er selbst ist seit 40 Jahren Kleintierzüchter. So etwas habe er noch nie gesehen. Farle sagt: „Es ist immer noch schlimm.“

Die geköpften Tauben waren allesamt Brieftauben. Familie Farle züchtet sie „schon ewig“, früher kümmerte sich aber Erika Farles Mann um sie. Inzwischen kann er das nicht mehr, er ist sehr krank. „Die Tauben sind alles, was mir geblieben ist“, sagt seine Frau.

Hellstern weiß von einem inzwischen verstorbenen Züchter, der so ein Exemplar für 63 000 Euro verkaufte – die gekillten Empfinger Tiere waren allerdings weniger wert. Eine Taube rund 40 Euro, schätzt der Vorsitzende. „Für meinen Mann waren sie wertvoll“, sagt Erika Farle. Bruno Farle hat die Brieftauben früher trainiert, nahm mit ihnen an Preisflügen teil. Seine Frau tut das nicht mehr. „Aber man hängt halt dran.“

Die drei Kleintierzüchter verständigten am Sonntagabend die Polizei. Die fand aber weder identifizierbare Spuren noch Hinweise auf einen Täter. Die Kleintierzuchtanlage liegt zwischen Tälesee, Fischerhütte, Tennis- und Fußballplätzen. Dort ist immer viel los. Und dort sind immer viele Leute unterwegs. Ein konkreter Verdacht besteht nicht, sagte ein Polizeisprecher auf Nachfrage der SÜDWEST PRESSE. Ein Strafverfahren wegen Sachbeschädigung ist eingeleitet.

In der Zuchtanlage hat jeder Züchter eine eigene Parzelle. Gewütet hat der Täter aber nur in jener Farles. Es ist die vierte auf der Anlage und nicht die vorderste, man muss erst einen Weg entlanglaufen – und über den Zaun um das Gesamtgelände klettern, denn der Eingang ist nachts verschlossen –, um dorthin zu kommen. Der Vereinsvorsitzende vermutet deshalb keinen willkürlichen Akt: „Das sah gezielt aus.“ Die Tiere der anderen Züchter auf dem Gelände blieben alle verschont.

Die Polizei hat Erika Farle gefragt, ob sie mit jemandem Streit habe. Nein, habe sie nicht, sagt sie. Nicht, dass sie wüsste. Sie kann nur vermuten. Die Brieftauben können ihre Voliere verlassen, sie haben einen Ausflug. Tagsüber kreisen sie über das Gelände. „Vielleicht hat das jemanden gestört“, sagt Farle. „Oder es waren Besoffene.“

Zu dritt beseitigten Fuchs, Farle und Hellstern am Sonntag das Blutbad. Am nächsten Tag schafften sie die Taubenleichen zur Tierkörperverbrennungsanlage nach Isenburg. Es waren acht große Säcke voll. Auch Jungtiere waren dabei, der Täter muss sie direkt aus dem Nest gegriffen haben. Jürgen Fuchs ist immer noch schockiert. Für ihn ist ganz klar: „Das kann kein Fremder gewesen sein.“ Der Täter müsse gewusst haben, wo die Tauben nachts sitzen, wo er hingreifen müsse, etwa ganz nach oben in den Schlag – Normalsterbliche würden sich dort gar nicht so auskennen. Wie Hellstern kann er sich aber auch vorstellen, dass mehrere Taubenmetzger am Werk waren, denn einer allein könne das nicht so einfach schaffen.

Farle sagt: „Das war eine Bestie.“ Für sie wäre es das Schlimmste, würde die Polizei nicht herausbekommen, wer dahinter steckt – und sie würde dem Täter, unwissend, auf der Straße begegnen, „und der grinst mich dann noch an“. Doch sie glaubt nicht an einen Ermittlungserfolg. „Das wäre ein Wunder.“ Vor einigen Jahren hat man ihr mal zwei Hasenmütter gestohlen, die hatten gerade Junge bekommen, und auch mal Hühner. Die Täter? Wurden nie gefunden.

An einen Vorfall in dieser Dimension in der näheren Umgebung kann sich Hellstern nicht erinnern. Wer schlachtet Lebewesen derart ab? „Ein Tierhasser, weiß der Geier. Das tut kein normaler Mensch“, sagt Hellstern. Fuchs hat einen Verdacht. Äußern will er den nicht. Der Vorstand überlegt nun, eine Kamera auf dem Vereinsgelände zu installieren. Allerdings ist das über einen Hektar groß – und kaum komplett filmisch zu überwachen.

Erika Farle sind rund 20 Tauben geblieben. In den Schlag trauen die sich nicht mehr. „Die fliegen nur noch herum“, sagt ihre Besitzerin. „Als wären sie bekloppt.“