Orchester

Mit James Bond ins Reich der Mitte

Die Chinesen mögen europäische Musik. Und wenn einer europäische Musik beherrscht, dann Star-Dirgent und Wahl-Empfinger Toni Scholl. Also ging er auf Konzertreise nach Fernost.

24.11.2017

Von Emil Henger

Zwei Empfinger im Reich der Mitte: Yanick Scholl vor dem Plakat seines Vaters, des Dirigenten Toni Scholl, in China. Privatbild

Zwei Empfinger im Reich der Mitte: Yanick Scholl vor dem Plakat seines Vaters, des Dirigenten Toni Scholl, in China. Privatbild

Neun Stunden Flugzeit, das Konzertpublikum verhält sich gelegentlich ein wenig undiszipliniert, während das Orchester spielt, und die Musiker selbst verköstigen sich vier Wochen lang mit Mahlzeiten, deren Skala der Geschmacksrichtung von scharf bis sehr scharf geht. So hat es Toni Scholl in China erlebt. Und kaum ist er aus China zurückgekehrt, spielt er schon mit dem Gedanken einer weiteren Tournee mit der Bläserphilharmonie Baden-Württemberg im Reich der Mitte.

Scholl, 1963 in Saarlouis geboren, ist nicht nur großer Liebhaber von Blasmusik, sondern auch viel gereister Künstler, der im In- und Ausland Dirigenten ausbildet, und vielfältig engagierter Dirigent renommierter Orchester. Und, nicht zu vergessen, fünf Jahre lang war er musikalischer Leiter des Empfinger Musikvereins, also in jener Gemeinde, in der er lebt. Inzwischen ist er unter anderem akademischer Mitarbeiter der Staatlichen Hochschule für Musik in Mannheim

Als Dirigent und auch als früherer Leiter der „Egerländer Musikanten – Das Original“ ist Toni Scholl schon viel herumgekommen. Doch die Konzertreise nach China in diesem Jahr hat bei dem 54-jährigen Saarländer so tiefe Spuren hinterlassen, dass er eine Neuauflage im Blick hat.

„Die Chinesen sind überaus herzliche und freundliche Menschen“, erzählt Toni Scholl beim Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE im Empfinger Sport-Restaurant, jenem Ort, der dem Saarländer zur zweiten Heimat geworden ist. Im Wissen, dass die Chinesen ein großes Faible für europäische Musik haben, hat ihn das „Außergewöhnliche“ an solch einer Konzertreise gereizt. Eine Bläserphilharmonie mit 59 Musikern war schnell auf die Beine gestellt. Davon alleine 36 Dirigenten, die alle Toni Scholls Schule durchlaufen haben.

Mit dabei war auch der jüngste Spross der Familie Scholl, Janick. Der 14-Jährige will einmal Schlagzeug und die sogenannten Stabspiele studieren und hat sich im Reich der Mitte bestens präsentiert. Beim Stück „Erinnerungen an Zirkus Renz für Xylophon“ begeisterte der Gymnasiast des Albeck-Gymnasiums Sulz das Publikum mit seiner Virtuosität. Übrigens war Janick der einzige Nicht-Profi des Orchesters.

Die große Herausforderung für Toni Scholl war, das menschliche Miteinander in völlig fremder Kultur zu formen und die musikalische Intensität des Orchesters zu erhalten. „Das Orchester hat menschlich hervorragend zusammengepasst und hatte eine unglaublich gute Disziplin“, lobt Scholl die Akteure an den Instrumenten. „Wir wollten die Vielfalt der musikalischen Literatur in Europa vermitteln“, erklärt er das Ansinnen der Tournee, „das ist uns sehr gut gelungen.“

Zwei Probetage haben die Musiker in Empfingen abgehalten. Und die hatten es in sich und werden unvergessen bleiben. Aber nicht etwa, weil an Tag eins nach sieben Stunden alle ziemlich geschafft waren. Nein, die Profis der Bläserphilharmonie hörten am zweiten Probetag merkwürdige Töne unweit des Hotels „Empfinger Hof“. Tausende Raver waren auf das Festgelände zur Beatparade des Jugend- und Kulturvereins gezogen und feierten eine Technoparty. Da an Schlaf sowieso nicht zu denken war, feierte man einfach mit. „Das war eine gute Gelegenheit zum Kennenlernen, alle haben die Party sehr genossen“, blickt Scholl zurück.

Ausgelassene Stimmung herrschte auch in den Konzertsälen während der Tournee. Die Chinesen stehen auf europäische Musik wie zum Beispiel „The Year of the Dragon“ oder „Concertino in Es-Dur op. 26 für Klarinette“, auf Filmmusik sowieso. Beim „Finale aus Wilhelm Tell“ klatschte das Publikum gleich nach den ersten Takten und das ganze Stück lang, Begeisterung herrschte bei „Fluch der Karibik“ oder bei der James-Bond-Filmmusik „Nobody does it better“ mit kleinen Einlagen der Musiker. Danach: offener, herzlicher und begeisterter Applaus, Hände schütteln, Autogrammstunde. „Die Zuhörer suchen am Ende einer Aufführung den Kontakt zum Orchester. Die Wertschätzung ist sehr groß.“ Scholl war ziemlich beeindruckt – und animierte bei einem Konzert vor 1500 Zuhörern, wie immer mit vielen Kindern, schon auch mal das Publikum zu La-Ola-Wellen.

Jedes Konzert endete übrigens mit dem „Radetzky-Marsch“ und einem chinesischen Volkslied. Ungewohnt für das Orchester war das zum Teil unruhige Publikum während den Aufführungen. Nach Beginn des Konzerts kamen eine Zeit lang immer noch Besucher, es wurde gesprochen. Doch entschädigt wurden die Musiker von der Herzlichkeit und Offenheit der Zuhörer. Und wie fand eigentlich Janick Scholl seine erste Konzertreise? „Megageil, es war zwar anstrengend, ich habe mich aber immer auf das nächste Konzert gefreut.“

Was bleibt in Erinnerung nach vier Wochen Tournee, 19 Konzerten und 10 000 Kilometern, die mit dem Bus oder Flugzeug absolviert wurden? Menschen, die offen auf einen zugehen, gelungene Konzerte auf hohem Niveau und Standing Ovations. Beeindruckende Ausflüge in die „Verbotene Stadt“ und zur „Chinesischen Mauer“, Selfies mit immer lächelnden Chinesen, aber auch riesige Städte, Verkehrschaos und Pünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel, die nicht gerade deutschen Maßstäben entsprechen.

Toni Scholl ist in Gedanken schon beim nächsten Ereignis. Beim internationalen Blasmusik-Kongress in Neu-Ulm am 20. Januar geben er und die Bläserphilharmonie Baden-Württemberg eine Kostprobe ihres Könnens.

Eine musikalische Biografie

Toni Scholl war schon in jungen Jahren Posaunist im Musikverein und beim Stabsmusikkorps der Bundeswehr in Siegburg. Er studierte Posaune an der Musikhochschule des Saarlands, an der Hochschule für Musik in Frankfurt schloss er sein Studium mit der künstlerischen Reife ab. Er war erster Tenorhornist bei „Ernst Mosch und seinen Original Egerländer Musikanten“, Orchestermanager, hauptberuflich beim Landespolizeirochester Baden-Württemberg. Toni Scholl arbeitete als Dozent für Dirigieren an der Hochschule für Musik in Trossingen und lehrt die Leitung von Blasorchestern an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim und an der Musikakademie Marktoberdorf. Er leitet Festivals und gründete die Bläserphilharmonie Baden-Württemberg.

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Erstellt:
24.11.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 49sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2017, 01:00 Uhr

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