Leben

Mit anderen Augen gesehen

Der taubblinde Sven Fiedler erfüllte sich mit der Wanderung auf dem Jakobsweg einen Jugendtraum. Die Nordstetter Firma Help-Tech half bei der Realisierung.

20.06.2017

Von Dunja Bernhard

Siegfried Kipke, Geschäftsführer der Nordstetter Firma Help-Tech zeigt die hölzerne Jakobsmuschel, die der taubstumme Sven Fiedler geschnitzt hat. Almuth Kolb ist Taubblindenenassistentin. Bild: Bernhard

Siegfried Kipke, Geschäftsführer der Nordstetter Firma Help-Tech zeigt die hölzerne Jakobsmuschel, die der taubstumme Sven Fiedler geschnitzt hat. Almuth Kolb ist Taubblindenenassistentin. Bild: Bernhard

Am 30. Mai kam Sven Fiedler in Santiago de Compostela an. Obwohl er sich zwei Jahre lang auf die Reise vorbereitete, lief nicht alles nach Plan.

Seine Wanderung auf der weltberühmten Pilgerstrecke war jedoch auch alles andere als gewöhnlich. Seit seiner Kindheit ist der 49-jährige Rottweiler schwerhörig und sehbehindert. Vor sieben Jahren erblindete er. „Den Raum sehe ich wie durch einen dichten weißen Nebel“, erklärt er seine Sehfähigkeit.

Für Fiedler war der Verlust seiner Sehkraft jedoch auch eine neue Chance. Bei der Rehabilitation in Hannover, in der er Alltägliches neu erlernte und sich in die Brailleschrift einarbeitete, erzählte er von seinem Traum: Einmal auf dem Jakobsweg zu wandern. Als Jugendlicher hatte er im Fernsehen eine Dokumentation darüber gesehen. „Aber ich dachte immer, der Jakobsweg liegt in Amerika“, berichtet er. Sein Therapeut, der mit Nachnamen Jakob hieß, klärte ihn über seinen Irrtum auf.

Seit Fiedler erblindet ist, arbeitet er mit der Taubblindenassistentin Almuth Kolb zusammen. Sie ermutigte ihn, seinen Traum umzusetzen und schenke ihm das Hörbuch „Ich bin dann mal weg“, in dem Hape Kerkeling von seinem Gang auf dem Jakobsweg berichtet.

„Sieben Mal habe ich mir das Buch angehört“, erzählt Fiedler. Kerkeling wurde für ihn zum Vorbild. Als es schwer wurde auf dem Jakobsweg, sagte er sich: „Wenn Hape das geschafft hat, schaffe ich das auch.“

Am 21. April setzte Fiedler im französischen St. Jean Pied de Port den ersten Schritt auf den Jakobsweg. Nach 40 Tagen und 800 Kilometern wollte er in Santiago de Compostela ankommen. Ein Filmteam und insgesamt sieben Assistenten begleiteten ihn. Mit ihnen hatte er vorher am Bodensee, im Schwarzwald und im Elsass trainiert und verschiedene Führtechniken ausprobiert.

Sie wiesen ihm nicht nur den Weg, sondern waren auch seine Augen. Sie beschrieben ihm die Umgebung. „Aber nur das, was anders war als in Deutschland“, sagt Kolb. So war es vorher abgesprochen. Denn sie könne nicht zehn Stunden am Tag reden und er nicht ununterbrochen zuhören. „Das wäre viel zu anstrengend.“

Dennoch erlebte Fiedler den Weg ganz intensiv. Er spürte die Steine oder den glatten Belag unter den Füßen. „Vieles hat sich verändert, seit Hape vor 16 Jahren dort lang wanderte“, sagt er. Der Weg sei modernisiert worden, aber dadurch auch unnatürlicher.

Fiedler betastete für ihn fremde Pflanzen – „auch Kakteen“ – und rüttelte an Zedern und Palmen. „Aber es fiel keine Kokosnuss herab“, sagt er lachend. Besonders beeindruckt hat ihn der intensive Duft eines Eukalyptuswalds. „Das hat so abartig gerochen“, sagt er und meint das durchaus positiv.

Wenn ein anderer Pilger sich näherte, klopften die Assistenten ihm zweimal auf die Hand. Fiedler grüßte dann mit „Buen Camino“ – spanisch für guten Weg. Mit einigen Pilgern kam er ins Gespräch. „Deafblind“ (taubblind) stand in leuchtend gelben Buchstaben auf Fiedlers T-Shirt und Rucksack. Eine Brasilianerin sei auf ihn zugekommen, habe ihn umarmt und geweint, erzählt er. „Du bist etwas ganz Besonderes“, sagte sie zu ihm. Eine Gehörlosengruppe aus Irland schenkte ihm als Erinnerung eine irische Flagge. Mit einer ebenfalls gehörlosen Pilgerin, die ihm zehn Tage voraus war, hielt er über Facebook Kontakt. Einige Pilger streckten einfach anerkennend den Daumen hoch. Er habe viel Zuspruch erhalten, sagt er.

Trotz sorgfältiger Vorbereitung plagten Fiedler jedoch zunehmend Kniebeschwerden. Keine Therapie half. „Typisch Pilger“, diagnostizierte ein Arzt. Die Schmerzen zwangen Fiedler zu einer Planänderung. Er verlängerte die Pausen, übersprang Etappen und legte Abschnitte mit dem Auto zurück.

Nicht nehmen ließ er sich, am Eisernen Kreuz einen Stein und damit „seine Sorgen“ niederzulegen. Auch die letzte 100 Kilometer nach Compostela ging er zu Fuß und legte damit insgesamt 500 Kilometer per Pedes zurück. „Ich habe es tatsächlich geschafft“, sagt er noch heute überglücklich.

Ohne Sponsoren wäre diese Reise für den früheren Technischen Zeichner und heutigen Frührentner Fiedler nicht möglich gewesen. Die Nordstetter Firma Help-Tech stellte dem Team kostenlos einen Citroën C4 zur Verfügung. „Bei Taubblinden werde oft nicht wahrgenommen, welches Potenzial sie haben“, sagte Geschäftsführer Siegfried Kipke. Er sei froh, dass er zum Gelingen der Reise beitragen konnte.