Berlinale

Morgens um neun ist die Welt nicht in Ordnung

Tiefpunkte im Wettbewerb: Ein portugiesisches Drama und der neue Schlöndorff.

16.02.2017

Von MAGDI ABOUL-KHEIR

Volker Schlöndorff zeigt eine Liebesschmonzette. Foto Britta Pedersen

Volker Schlöndorff zeigt eine Liebesschmonzette. Foto Britta Pedersen

Berlin. Die Klage, dass der Berlinale-Wettbewerb in diesem Jahr nicht so überzeugt, ist in jedem Jahr zu hören. Allerdings ist das Geschäft für die Programm-Kommission kein leichtes. Denn es geht nicht nur darum, rund 20 möglichst gute Filme auszuwählen. Es geht auch um Proporz.

Große Namen und Talente sollten dabei sein. Das Weltkino sollte vertreten sein, nicht nur Europa, sondern auch von Lateinamerika über Afrika bis Fernost. Hollywood darf nicht zu stark sein, aber auch nicht zu schwach, der Stars wegen. Der deutsche Film darf nicht fehlen, aber ebensowenig nerven. Genügend Filme von Regisseurinnen sollten es sein und unterschiedlichste Genres. Und dann gibt es noch den Mittwoch-9-Uhr-Film.

Es ist der härteste Termin. Nach fast einer Woche Berlinale – zu viele Filme, Empfänge, Partys – sind alle eigentlich fertig, bevor sie sich zum Finale nochmal aufraffen. Entsprechend gibt es am Mittwochmorgen harte Kost. Von den 1627 Plätzen im Kino-Palast bleiben tatsächlich mal einige frei.

Gestern wurde das portugiesische Drama „Colo“ gereicht. Der Film zur Wirtschaftskrise: Eine Familie – Vater arbeitslos, Mutter mit zwei Jobs überfordert, Tochter adoleszierend – bricht auseinander. 136 Minuten lang lässt Teresa Villaverde ihre Protagonisten lähmend leiden. So schwer das Thema, so bleiern die Umsetzung, so ermattend die Wirkung. Wahrscheinlich hat noch nie ein Mittwoch-9-Uhr-Film einen Bären gewonnen. „Colo“ war eine perfekte Wahl.

Dann folgte Volker Schlöndorffs „Rückkehr nach Montauk“. Ein deutscher Schriftsteller (Stellan Skarsgaard) stellt in New York seinen neuen Roman vor, in dem er eine verflossene Liebe reflektiert. Er hat eine patente Assistentin und Partnerin, aber da seine verflossene Liebe (Nina Noss) just als Anwältin in New York lebt, sucht er deren Nähe. Sie fahren nach Montauk auf Long Island, wo sie einst – genau!

Natürlich spiegelt das Geschehen Max Frischs autobiografische Erzählung „Montauk“ wider, in der der Schweizer einst seinerseits seine Liebesgeschichte mit Ingeborg Bachmann literarisiert hat. Und Schlöndorff seinerseits kehrt 26 Jahre nach „Homo faber“ auf Frisch-Terrain zurück. Zudem heißt seine Hauptfigur Max, und laut PR-Geschwafel „überführt“ der Film Frischs Motive in eine neue Erzählung. Die aber ist: nicht Frisch, nicht Fleisch.

Was ist Wahrheit, was Dichtung? Was muss man bereuen? Das, was man anderen angetan hat, oder auch das, was man nicht getan hat? Wen kümmert's! Denn der Film des 77-jährigen Schlöndorff ist eine Lebens- und Liebesbilanz-Schmonzette: ein selbstgerechter Held und erratische Frauenfiguren in durchgestylten Bildern, über die die so angesagte Neo-Klassik Max Richters wabert. Dass die deutschen Figuren miteinander Englisch sprechen, stört angesichts der Dialoge immerhin nicht weiter.

Manchmal läuft eben ein zweiter Mittwoch-9-Uhr-Film im Berlinale-Wettbewerb. Notfalls um 12.30 Uhr. Magdi Aboul-Kheir

Zum Artikel

Erstellt:
16.02.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 23sec
zuletzt aktualisiert: 16.02.2017, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.