Gefühlskälte und Obsession

Neuer Film von Michael Haneke im Wettbewerb von Cannes

Michael Haneke stellt sein jüngstes Werk „Happy End“ in Cannes vor. Es handelt von einer zerrütteten Familie.

23.05.2017

Von DPA

Hat schon zwei Goldene Palmen: Michael Haneke. Foto: afp

Hat schon zwei Goldene Palmen: Michael Haneke. Foto: afp

Cannes. Es sagt etwas aus, wenn über einen harmlosen Filmtitel wie „Happy End“ schon vorab gewitzelt wird. Im Fall des in München geborene Österreicher Michael Haneke hieß das: Wer seine Filme kennt, weiß, dass der Titel nur in die Irre führen kann. In Cannes ist er eine Legende, bekannt für Filme, die das Gegenteil von Wohlfühkino sind, weil sie durch Mark und Bein gehen.

Seit seiner schockierenden Gewaltstudie „Funny Games“ (1997) hat Haneke hier fast jedes Mal eine Auszeichnung erhalten. Für seine beiden Werke „Das weiße Band“ (2009) und „Liebe“ (2012) erhielt er gar die Goldene Palme. Kein Wunder also, dass für die versammelten Filmenthusiasten an der Croisette Hanekes neuestes Werk „Happy End“ zu den am meisten und zugleich mit zwiespältigen Gefühlen erwarteten Filmen gehörte.

Angeheizt wird die Erwartung auch wegen der Aussicht auf eine kleine Sensation. Der 75-jährige Haneke könnte der erste Regisseur der Festivalgeschichte werden, der die begehrte Goldene Palme zum dritten Mal bekommt.

Eines kann man festhalten: „Happy End“ erfüllt die Erwartungen auf einen „Haneke-Film“ zur Gänze. In knapp gehaltenen Vignetten zeigt Haneke eine Familie, für deren Charakterisierung das Wort „dysfunktional“ noch zu gemütlich klingt.

Der 86-jährige Jean-Louis Trintignant verkörpert einen lebensmüden Patriarchen, über den seine Kinder hinter seinem Rücken die Augen rollen. Die in allen Regungen berechnend wirkende Tochter (Isabelle Huppert) leitet das Familienbauunternehmen; der Sohn (Mathieu Kassovitz) ist Arzt, gerade mit einer neuen Frau noch einmal Vater geworden und doch auf Sex-Chat im Internet unterwegs. In die gemeinsam bewohnte Villa zieht bald auch dessen Tochter aus erster Ehe, die zwölfjährige Eve (Fantine Harduin), nachdem ihre Mutter sich mit Tabletten vergiftet hat.

Fast alle Figuren wirken wie Doppelgänger aus früheren Haneke-Filmen und fügen sich hier perfekt zu einem verhaltenen Drama über Gefühlskälte und Obsession. Es ist ein Film, der Unwohlsein hinterlässt und doch durch Klarheit in der Sicht auf die Dinge besticht. Die ersten Reaktionen waren gespalten. Was für Haneke-Filme normal ist. Mal sehen, was die Jury sagt. dpa

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Erstellt:
23.05.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 03sec
zuletzt aktualisiert: 23.05.2017, 06:00 Uhr

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