Hunderte gingen am 1. Mai für soziale Gerechtigkeit auf die Straße

OB Boris Palmer war vom DGB nicht als Redner geladen worden, kam aber trotzdem auf den Marktplatz

Bis zu 500 Tübinger versammelten sich am Tag der Arbeit, um für höhere Löhne und Renten zu demonstrieren. Statt Boris Palmer sprach dieses Mal ein syrischer Flüchtling.

01.05.2016

Von Philipp Koebnik

Demo und Kundgebung zum 1. Mai in Tübingen

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Knapp 500 Menschen versammelten sich am Sonntag zur 1. Mai-Kundgebung auf dem Tü...
Knapp 500 Menschen versammelten sich am Sonntag zur 1. Mai-Kundgebung auf dem Tübinger Marktplatz.

© Bild: Anne Faden

Hauptredner Prof. Stefan Sell widmete sich der wachsenden sozialen Ungleichheit.
Hauptredner Prof. Stefan Sell widmete sich der wachsenden sozialen Ungleichheit.

© Bild: Anne Faden

Als Gruß nach Griechenland wurde auch Sirtaki getanzt.
Als Gruß nach Griechenland wurde auch Sirtaki getanzt.

© Bild: Anne Faden

Vor der Kundgebung zogen an die 300 Teilnehmer durch die Tübinger Innnenstadt.
Vor der Kundgebung zogen an die 300 Teilnehmer durch die Tübinger Innnenstadt.

© Bild: Anne Faden

Zu hören waren Parolen wie „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“.
Zu hören waren Parolen wie „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“.

© Bild: Anne Faden

Altstadtrat Gerhard Bialas und seine Frau Christa trommeln unermüdlich für die D...
Altstadtrat Gerhard Bialas und seine Frau Christa trommeln unermüdlich für die DKP.

© Bild: Anne Faden

Tübingen. Pünktlich um halb 11 legte die Samba-Gruppe los – das war das Signal zum Auftakt. Ungefähr 300 Demonstranten zogen am gestrigen Tag der Arbeit durch die Tübinger Altstadt, darunter ein Jugendblock, zu dem die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) aufgerufen hatte. Zu hören waren Parolen wie „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“ und „Siemens, Daimler, Deutsche Bank – Der Hauptfeind steht im eignen Land“.

Demo und Kundgebung zum 1. Mai in Tübingen

Knapp 500 Menschen versammelten sich am Sonntag zur 1. Mai-Kundgebung auf dem Tü...
Hauptredner Prof. Stefan Sell widmete sich der wachsenden sozialen Ungleichheit.
Als Gruß nach Griechenland wurde auch Sirtaki getanzt.
Vor der Kundgebung zogen an die 300 Teilnehmer durch die Tübinger Innnenstadt.
Zu hören waren Parolen wie „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“.
Altstadtrat Gerhard Bialas und seine Frau Christa trommeln unermüdlich für die D...
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Knapp 500 Menschen versammelten sich am Sonntag zur 1. Mai-Kundgebung auf dem Tü...
Knapp 500 Menschen versammelten sich am Sonntag zur 1. Mai-Kundgebung auf dem Tübinger Marktplatz.

© Bild: Anne Faden

Hauptredner Prof. Stefan Sell widmete sich der wachsenden sozialen Ungleichheit.
Hauptredner Prof. Stefan Sell widmete sich der wachsenden sozialen Ungleichheit.

© Bild: Anne Faden

Als Gruß nach Griechenland wurde auch Sirtaki getanzt.
Als Gruß nach Griechenland wurde auch Sirtaki getanzt.

© Bild: Anne Faden

Vor der Kundgebung zogen an die 300 Teilnehmer durch die Tübinger Innnenstadt.
Vor der Kundgebung zogen an die 300 Teilnehmer durch die Tübinger Innnenstadt.

© Bild: Anne Faden

Zu hören waren Parolen wie „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“.
Zu hören waren Parolen wie „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“.

© Bild: Anne Faden

Altstadtrat Gerhard Bialas und seine Frau Christa trommeln unermüdlich für die D...
Altstadtrat Gerhard Bialas und seine Frau Christa trommeln unermüdlich für die DKP.

© Bild: Anne Faden

Zur Kundgebung auf dem Marktplatz versammelten sich knapp 500 Leute. Als Hauptredner geladen war der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Stefan Sell, der sich vor allem der wachsenden sozialen Ungleichheit in der Bundesrepublik widmete – und den Tücken der Statistik. Denn durchschnittlich verfüge jeder deutsche Haushalt über ein Vermögen von 214 000 Euro. „Einige werden sich jetzt wundern: Was ist bei mir schief gelaufen?“ Während die obersten zehn Prozent der Bevölkerung über 60 Prozent des Vermögens verfügen, kommt die untere Hälfte gerade einmal auf zweieinhalb Prozent. „Die Mitte, die für unser Land so wichtig ist, gerät immer mehr in den Schwitzkasten“, warnte Sell.

Der Ökonom erinnerte daran, dass der Spitzensteuersatz zu Zeiten Helmut Kohls bei 53 Prozent lag – massiv gesenkt hatte ihn dann die rot-grüne Bundesregierung. „Ich erinnere mich nicht an eine signifikante Selbstmordwelle unter Ärzten zu Beginn der 1990er Jahre wegen einer angeblich unerträglichen Steuerbelastung“, scherzte Sell. Die Reichen müssten stärker an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligt werden, denn die Kommunen lebten mittlerweile von der Substanz.

Ein weiterer Kritikpunkt: Immer weniger Beschäftigte werden überhaupt noch nach Tarif bezahlt. Auch dafür sei die rot-grüne Bundesregierung verantwortlich, denn sie habe seinerzeit die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen abgeschafft. Der Wissenschaftler nahm sich auch die monatlich veröffentlichten Arbeitslosenzahlen vor. Er stellte klar, dass Hunderttausende nicht in der Statistik auftauchen, beispielsweise krankgemeldete Arbeitslose oder solche, die gerade einen Bewerbungs-Kurs absolvieren. Sell erinnerte zudem daran, dass mehrere Millionen Menschen zwar erwerbstätig sind, aber dennoch zugleich auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind.

Auch das Thema Rente griff Sell auf. Die Aussage, die Rente müsse wegen des demografischen Wandels sinken, könne er nicht verstehen. Als Gegenbeispiel nannte er die Schweiz, die einer „sozialistischen Umverteilung“ wahrlich unverdächtig sei. Denn dort zahlen ausnahmslos alle in die Rentenkasse ein – und zwar auf sämtliche Einkünfte sowie nach oben unbegrenzt, da es keine Beitragsbemessungsgrenze gibt. Eine Maximalrente gibt es allerdings, sodass die Kosten nicht explodieren.

Den Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie widmete sich Maria Dimoudis, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei der Walter AG. Während riesige Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet würden, seien angeblich keine spürbaren Lohnerhöhungen für die Beschäftigten drin. Dabei sprudelten derzeit die Profite, kritisierte sie. Die Forderungen der Beschäftigten am Uniklinikum erläuterte die Personalratsvorsitzende Angela Hauser. Für junge wie ältere Mitarbeiter forderte sie: „Der Lohn muss für ein selbstbestimmtes Leben reichen.“ Das „Hartz IV“-System kritisierte der Vertreter des Arbeitslosen-Treffs (TAT) Klaus Rahlf, der zudem eindringlich vor einem weiteren Aufstieg der AfD warnte.

Oberbürgermeister Boris Palmer war vom DGB diesmal nicht als Redner geladen worden. Gekommen war er trotzdem. Er mischte sich unter die Zuhörer, war dabei aber vor allem mit seinem Smartphone beschäftigt. An seiner Stelle sprach der syrische Flüchtling Nedal Fares. Er dankte den Deutschen für ihre „Menschlichkeit“, bat aber auch darum, die in Griechenland und andernorts festsitzenden Flüchtlinge nicht zu vergessen. Viele Zuhörer waren sichtlich gerührt als er sagte, man wolle „nur gleiche Löhne akzeptieren, damit euer Mindestlohn nicht gesenkt wird“. Er schloss mit den Worten: „Hoch die internationale Solidarität der arbeitenden Hand.“

Bei der Kundgebung zum 1. Mai auf dem Marktplatz wurden nicht nur Reden gehalten, sondern – als Gruß nach Griechenland – auch Sirtaki getanzt. Bilder: Faden

Bei der Kundgebung zum 1. Mai auf dem Marktplatz wurden nicht nur Reden gehalten, sondern – als Gruß nach Griechenland – auch Sirtaki getanzt. Bilder: Faden

Hauptredner Prof. Stefan Sell

Hauptredner Prof. Stefan Sell

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Erstellt:
01.05.2016, 18:45 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 49sec
zuletzt aktualisiert: 01.05.2016, 18:45 Uhr

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