Ausland

Ohne Vorurteile ins Abenteuer

11 000 Kilometer von seiner Heimat Bergfelden entfernt hat Mathias Katz ein Jahr auf Sansibar gearbeitet. Er lernte Menschen und Kultur kennen – und zu schätzen, wie gut man in Deutschland eigentlich lebt.

17.08.2017

Von Fabian Schäfer

Mathias Katz aus Bergfelden auf einer im Bau befindlichen Entsalzungsanlage auf Sansibar. Diese läuft autonom mit ihrem eigenen Solarstrom und wirft 100 Liter Trinkwasser pro Stunde ab. Andere Anlagen produzieren sogar bis zu 1500 Liter pro Stunde.Privatbilder

Mathias Katz aus Bergfelden auf einer im Bau befindlichen Entsalzungsanlage auf Sansibar. Diese läuft autonom mit ihrem eigenen Solarstrom und wirft 100 Liter Trinkwasser pro Stunde ab. Andere Anlagen produzieren sogar bis zu 1500 Liter pro Stunde.Privatbilder

Man sieht dem jungen Mann, der an diesem Mittwochmorgen im idyllischen Garten seiner Eltern in Bergfelden sitzt, an, dass ihn das vergangene Jahr stark geprägt hat. Dieses hat Mathias Katz, 21, nicht im Sulzer Teilort, seiner Heimat, verbracht, sondern ziemlich genau 11 000 Kilometer weit entfernt: auf Sansibar, einem Insel-Teilstaat von Tansania an der Ostküste Afrikas. Zehneinhalb Monate verbrachte der gelernte Zerspanungsmechaniker dort und arbeitete für die Nichtregierungsorganisation (NGO) „Pamoja Zanzibar“, die sich auf der Insel um eine Autowerkstatt und die Wasserentsalzung kümmert.

Im September vergangenen Jahres flog Mathias Katz nach Sansibar – 18 Stunden war der 21-Jährige unterwegs, mit Zwischenstopp. „Zurück war es ein Direktflug, da sind wir nur acht Stunden geflogen“, erklärt er im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE. Es sei immer sein Wunsch gewesen, einmal ein Jahr lang wegzukommen vom Bekannten. Beflügelt wurde dieser durch seine drei älteren Geschwister, die dem Nesthäkchen diesen Schritt bereits vorgemacht hatten. Nach seiner Lehre zum Zerspanungsmechaniker und einem Arbeitsjahr als Instandhalter habe Katz schauen wollen, „wie ich mein Wissen einbringen kann, um ärmeren Menschen zu helfen.“ Er bewarb sich bei verschiedenen Organisationen, doch seien Zerspanungsmechaniker zu dieser Zeit nicht besonders gefragt gewesen.

Von der Großstadt in die Provinz

„Über meine Schwester kam ich dann in Kontakt mit dem NGO-Leiter auf Sansibar, der mir diesen Schritt ermöglicht hat“, erzählt Mathias Katz. Nach der zehnten Klasse hat er das Gymnasium verlassen, schon damals mit dem Wunsch, ins Ausland zu gehen. „Aber mir wurde gesagt, ich soll erstmal etwas Anständiges lernen, damit man mich brauchen kann“, erzählt der 21-Jährige lächelnd.

Auf Sansibar angekommen, seien es „viele neue Eindrücke“ gewesen, die schlagartig auf den Bergfelder eingeprasselt seien. „Es war nicht mein erstes Mal in Afrika, daher war mir die Landschaft bekannt. Aber plötzlich vom Frankfurter Flughafen in die afrikanische Provinz versetzt zu werden, war schon besonders“, erinnert sich Katz.

Die Kultur der Insel sei interessant gewesen, da sie sowohl von afrikanischen als auch von indischen und arabischen Einschlägen geprägt sei. „Es ist eine Mischung aus vielen verschiedenen Menschen“, sagt Katz. Die Armut in Sansibar ist jedoch groß. Viele Einwohner haben nur das Nötigste zum Leben, zu essen gibt es oft Tag für Tag Maisbrei oder Reis mit Bohnen. „Es ist jedoch eher eine versteckte Armut. In der muslimischen Kultur von Sansibar jammert man nicht. Viele sind so ehrenhaft, aber doch arm“, erklärt der 21-Jährige. Einen Monat lang hat Mathias Katz in einer Autowerkstatt Sprache und Menschen zu verstehen gelernt – und nebenbei auch „ein bisschen was über Autos“. Auf Sansibar wird beinahe ausschließlich Suaheli gesprochen, die breite Bevölkerung kann kein Englisch. „Die Grundzüge der Sprache habe ich gelernt“, sagt Katz. Nach dieser Eingewöhnungsphase zog es den jungen Mann jedoch in den zweiten Arbeitszweig der NGO: die Entsalzung des Grundwassers. „Das Meerwasser drückt dort ganz extrem auf das Grundwasser, weshalb viele Dörfer kein salzfreies Wasser haben“, erklärt Katz. Zusammen mit Kollegen ist er daher in diese Orte gefahren und hat die Entsalzungsanlagen betreut.

Bequemer und langsamer

Zusammen mit zwei weiteren deutschen Kurzzeitlern lebte der 21-Jährige in einer Wohngemeinschaft in Sansibar-Town, der einzigen Stadt auf der Insel. Die Einheimischen hat Katz sehr gastfreundlich und offen erlebt. „Es war sehr positiv. Ich konnte viele Vorurteile, die man aus Deutschland mitbekommt, ablegen. Die Offenheit untereinander war groß“, erzählt der Bergfelder. Auch wenn man einen Menschen auf der Straße zum ersten Mal getroffen habe, sei es gewesen, als ob man sich schon lange kenne.

Der größte Unterschied zu Deutschland sei jedoch die Bedeutung von Beziehungen zu Mitmenschen gewesen. „Die steht an erster Stelle. Man kann nicht eben kurz wo anrufen und beispielsweise etwas bestellen. Da wird zuerst nach der Familie gefragt, nach dem Job. Erst dann kommt man zum Eigentlichen“, berichtet Mathias Katz. Das entschleunige vieles und so brauche einiges auch mehr Zeit als in Deutschland. Auch die Arbeitsmoral sei eine andere. „Es ist alles etwas bequemer. In Sansibar sieht man schon auch mal ein paar Azubis, wie sie über der Motorhaube eines Autos lehnen und sich unterhalten“, sagt Katz. Daher sei das Arbeitsklima auch besser als in manchen deutschen Unternehmen. Bis zu 30 Auszubildende gibt es in der Autowerkstatt, in der auch Mathias Katz zu Beginn arbeitete. „Man will den Jüngeren Perspektiven bieten. Sie sollen dann mit technischem Wissen rausgehen und Geld verdienen können.“

Am 19. Juli ist der Weitgereiste wieder in Deutschland gelandet. Derzeit verbringt er einige Tage bei seinen Eltern in Bergfelden, bevor er sich beruflich in völlig neue Gefilde wagt: Der 21-Jährige besucht von nun an die Bibelschule in Unterweissach bei Backnang. „Mich hat während der Zeit auf Sansibar die Frage beschäftigt, ob ich mich vielleicht beruflich neu orientieren soll. Daher war die Option, entweder meinen Techniker zu machen oder mich ganz auf die Jugendarbeit zu konzentrieren“, erklärt Katz, der schon früher in der Bergfelder Kirchengemeinde aktiv war und viel mit dem Sulzer Jugendwerk zu tun hatte. „Ich will einen neuen Berufsweg gehen“, erklärt der Heimgekehrte.

Deutschland hat es gut

Dem 21-Jährigen ist durch die Reise vor allem eines klar geworden: „Wir haben es so gut hier. Ich merke das jetzt mehr als zuvor. Wenn wir im Supermarkt vor 500 verschiedenen Joghurts stehen, braucht man sich nicht beschweren, auch wenn man nicht zu den obersten zehn Prozent in Deutschland gehört“, sagt Mathias Katz. Für sich selbst hat er mitgenommen, persönliche Beziehungen vor Vorurteile zu stellen. „Ich habe dort einen Freund kennengelernt, mit dem ich offen reden konnte, ohne dass wir uns vorher verurteilt hätten, auch wenn er Muslim ist. Vor dem Urteil steht die Beziehung, sie muss zuerst kommen.“

Auf dem Weg zur Arbeit auf Sansibar: Mathias Katz mit zwei einheimischen Kollegen.

Auf dem Weg zur Arbeit auf Sansibar: Mathias Katz mit zwei einheimischen Kollegen.

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Erstellt:
17.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 00sec
zuletzt aktualisiert: 17.08.2017, 01:00 Uhr

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