Seelsorge als alltagsnahe Kirche

Pfarrer Eckhard Schärer verlässt Sulz und geht nach Oberaichen / Verabschiedungsgottesdienst am 3. A

„Ich gehe nicht leichten Herzens, sondern mit einem gehörigen Stück Wehmut“, sagt Eckhard Schärer. Nach 22 Jahren verlässt der evangelische Pfarrer Anfang April Sulz und übernimmt eine Stelle in Oberaichen bei Leinfelden. Im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE blickt der 59-Jährige auf die Zeit in der Neckarstadt zurück, erklärt, warum der Beschluss zum Wechsel fiel und wie es nun weitergeht.

06.02.2016

Von cristina priotto

Pfarrer Eckhard Schärer verlässt Sulz und geht nach Oberaichen / Verabschiedungsgottesdienst am 3. A

Sulz. „Wissen Sie noch, worüber Sie Ihre erste Predigt in Sulz gehalten haben?“. Die Einstiegsfrage kann Eckhard Schärer nach kurzem Nachdenken richtig beantworten: Es ging darum, wie Abraham noch im hohen Alter einen neuen Lebensweg einschlug. Mehr als 22 Jahre ist die Investitur Schärers mittlerweile her. Im Juli 1994 übernahm der damals 37-Jährige die zweite Pfarrstelle in Sulz, womit der östliche Glaubensbezirk nach sieben Jahren mit Vertretungen wieder ständig besetzt war.

Für den gebürtigen Bad Cannstatter war Sulz die erste Stelle als Pfarrer. „Ich kannte Sulz vorher überhaupt nicht“, erzählt Schärer, der 1994 mit Ehefrau Carola und den Töchtern Johanne und Friederike ins Pfarrhaus zog. Der Familie gefiel, dass in Sulz alles am Ort und fußläufig zu erreichen ist. Die Größe des Gebäudes wussten Schärers stets zu schätzen – selbst wenn das Pfarrhaus im Winter vier Monate im kalten Schatten liegt.

Den Weg zum Theologiestudium schlug Eckhard Schärer einst ein, „weil mir nichts Besseres einfiel und weil es nichts Besseres gibt“, wie der Pastor findet. Eine Rolle gespielt hat auch der frühe Tod des Vaters, als der Sohn 16 Jahre alt war. Noch als Schüler beschloss der Bad Cannstatter damals, am Karlsgymnasium in Stuttgart Hebräisch zu lernen. Nicht nur die Sprache prägte den Jugendlichen, sondern vor allem der Lehrer. „Er hat den Entschluss zum Theologiestudium gestärkt“, sagt Schärer.

Nun klafft zwischen Religion als gelebtem Glauben und Kirche als Institution bisweilen eine Lücke. „Die Kirche sollte keine Sonderwirklichkeit beschreiben, sondern nah am Alltag der Menschen sein und deren Erfahrungen ernst nehmen“, findet Eckhard Schärer, der immer auch Religionsunterricht erteilt hat.

Von dezidierter Mission hält der Theologe daher gar nichts und gesteht, vor 22 Jahren erstaunt gewesen zu sein über die große Vielfalt an Kirchen und Glaubensgemeinschaften in Sulz. „Das ist auch ein Spiegelbild der Gesellschaft“, glaubt Schärer, der aber Wert darauf legt, dass die evangelische Kirche als Volkskirche erkennbar ist.

Umso bedauerlicher findet der Pfarrer daher, dass die jüngere Generation zur Kirche häufig keinen so engen Bezug mehr hat. Überzeugend den Glauben vermitteln können nach Auffassung des 59-Jährigen nicht Worte, sondern nur die Person, die dahintersteht.

Zum Aufgabenbereich während der vergangenen 22 Jahre in Sulz gehörten auch die seelsorgerlichen Dienste in den Altenheimen. „Es ist wichtig, dass die Kirche dort ist“, findet Schärer, denn der unstillbare Schmerz, die Heimat verloren zu haben, bleibe den Heimbewohnern. Der Pfarrer sei dann oft die einzige Verbindung zum Glauben als geistiger Heimat. Die anfängliche Skepsis wegen des großen Altersabstands bei Amtsantritt wich mit der Zeit vielen anrührenden und prägenden Begegnungen. „Man hat es als Pfarrer leicht, Beziehungen zu knüpfen, denn man muss nicht begründen, warum man kommt“, schätzt Eckhard Schärer die Offenheit, mit der viele Menschen Pfarrern begegnen, aber auch das Privileg, sich als Seelsorger Zeit für Gespräche nehmen zu dürfen.

Deshalb nennt der Theologe den Hebräerbrief als persönlich sehr wichtigen Teil der Bibel, weil dieser „ungeheuer seelsorgerlich“ sei und ein Ideal des Pfarrers beschreibe.

Nicht nur mit Älteren, auch mit Schülern spricht Schärer gerne. Die letzte Stunde Religionsunterricht in Sulz hat Eckhard Schärer am Mittwoch gehalten. Früher hätten Schüler aber mehr diskutiert.

Sulz zu verlassen, fällt dem Pfarrer, der bislang noch an keinem Ort so lange gelebt hat wie hier, schwer. Dennoch haben Eckhard und Carola Schärer sich für einen Wechsel entschieden. „Wenn ich es jetzt nicht mehr mache, geht es nicht mehr“, begründet der 59-Jährige die Bewerbung in Oberaichen.

An der neuen Wirkungsstätte im Dekanat Bernhausen, wo am 10. April die Investitur für den Seelsorger ist, wird Schärer mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie in Sulz: Zusammenschlüsse mit Nachbargemeinden beschäftigen derzeit viele evangelische Kirchengemeinden. Andere Chancen sieht der Pfarrer kaum, die seit über zwei Jahren vakante 50-Prozent-Stelle in Holzhausen zu besetzen. Die freiwerdende Stelle für das Pfarramt II in Sulz ist noch nicht ausgeschrieben. „So schnell wird sich kein Nachfolger finden“, ist Eckhard Schärer überzeugt.

Den bevorstehenden Resturlaub nutzt das Ehepaar Schärer, um im Pfarrhaus auszumisten: „Selbst wenn man kein Sammler ist, sammelt sich über 22 Jahre Einiges an“, stellt der Pfarrer beim Blick auf die Bücherregale in seinem Büro fest.

Schwerer als die Trennung von Materiellem fällt dem Pfarrer die Gewissheit, viele Freunde und Bekannte zurückzulassen. „Ich will den Kontakt nach Sulz halten“, betont Schärer, der in der Weihnachtsausgabe 2015 des Gemeindebriefs an die Gemeinde schreibt: „Wir waren hier im Haus, im Ort und in der Gemeinde geborgen“.

In einem so hohen Alter wie Abraham beim Umzug nach Kanaan ist der 59-Jährige zwar noch nicht angelangt. Dennoch schließt sich mit dem Weggang nach 22 Jahren der Kreis zur ersten Predigt in Sulz.

Info Eckhard Schärer wird am Sonntag, 3. April, um 10 Uhr in der evangelischen Stadtkirche verabschiedet.

Zur Person

Eckhard Schärer ist 59 Jahre alt und stammt aus Stuttgart-Bad Cannstatt. In Tübingen studierte Schärer Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte. Anschließend folgten das Vikariat in Weinsberg und eine Stelle als Pfarrverweser in Feuerbach. Danach unterrichtete Eckhard Schärer einige Jahre lang am Gymnasium in Korntal. Es folgte die vorübergehende Übernahme einer Vakatur in Talheim. In Sulz hat der Pfarrer seit Juli 1994 die zweite Pfarrstelle inne.

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Erstellt:
06.02.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 43sec
zuletzt aktualisiert: 06.02.2016, 01:00 Uhr

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