Szene

Randgruppe mit kruder Theorie

„Reichsbürger“ treten auch im Kreis Rottweil in Erscheinung. Innenministerium und Verfassungsschutz beobachten die Anhänger, die Polizei hat eher Angst.

15.07.2017

Von Cristina Priotto

Fantasiepässe, Verschwörungstheorien und eine große Nähe zur rechtsextremen Szene: Die sogenannten „Reichsbürger“ fallen in den vergangenen Jahren immer stärker auf. Das Innenministerium hat Mitte der Woche die aktuelle Zahl der Anhänger dieser Szene veröffentlicht: Demnach sind in Baden-Württemberg 1527 Anhänger der sehr speziellen Geschichtsauslegung bekannt.

Wie der SWR herausgefunden hat, leben rund 30 behördlich Bekannte davon im Landkreis Rottweil. Drei davon sind im Besitz eines kleinen Waffenscheins, möglicherweise auch von Waffen.

Die SÜDWEST PRESSE hat beim Innenministerium nachgefragt, wie die Sympathisanten teils kruder Ideologien bislang aufgefallen sind und wie die Beobachtung des Personenkreises abläuft.

Aktuelle Recherchen im Gang

Carsten Dehner, stellvertretender Leiter der Pressestelle beim Innenministerium in Stuttgart, teilt dazu mit, dass die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern seit Ende November 2016 das Gesamtspektrum der „Reichsbürger“-Szene stärker in den Blick nehmen. „Das hohe Informationsaufkommen wird laufend bearbeitet“, schreibt Dehner als Antwort auf die Anfrage unserer Zeitung. Nähere Auskünfte über die Zahl der speziell im Raum Sulz, Vöhringen und Dornhan gemeldeten Anhänger dieser Gruppierung kann das Innenministerium zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht geben, da Recherchen dazu laufen.

Die Erhebung des SWR hatte ergeben, dass auf „Reichsbürger“ fünfmal häufiger Waffenbesitzkarten ausgestellt werden als auf durchschnittliche Bürger. Auf den Landkreis Rottweil möchte der Pressesprecher dennoch keine sicheren Zahlen herunterbrechen, was die Menge der in der Region vorhandenen Waffen betrifft.

„Das Nationale Waffenregister ermöglicht dem Innenministerium lediglich eine landesweite Auswertung“, verweist Dehner auf höhere Instanzen. Zurückhaltung herrscht zur Frage, bei wie vielen „Reichsbürgern“ etwas über Rechtsextremismus bekannt ist: „Dazu möchte ich keine Aussage treffen“, teilt der stellvertretende Leiter der Pressestelle mit.

Doch wie beobachten die Behörden die Verschwörungs-Fans? Zuständig ist das Landesamt für Verfassungsschutz, das Informationen im Bedarfsfall auch verdeckt beschafft, das heißt mit Unterstützung der Nachrichtendienste. Ende Mai hat die Behörde die Zahl der bundesweit bekannten „Reichsbürger“ mit 12600 angegeben. Bei 700 davon sind rechtsextreme Tendenzen bekannt, genauso viele besitzen Waffen.

Kommt es tatsächlich zu Durchsuchungen oder geht es um die Begleitung Angeklagter vor Gericht, bitten die Verfassungsschützer die Polizei um Amtshilfe. Eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Tuttlingen sagte am Freitag gegenüber der SÜDWEST PRESSE: „Die ‚Reichsbürger‘ treten hier nicht so sehr in Erscheinung, aber es gibt sicher eine hohe Dunkelziffer“. Die Polizisten müssen aber auch deren Bußgeldbescheide verfolgen – denn Ideologie hin oder her: „Für die gelten die gleichen Gesetze wie für alle anderen auch“, betont die Sprecherin. Die Erschießung eines Polizisten durch einen „Reichsbürger“ in Bayern im Oktober 2016 hat die Beamten verunsichert. „Wir sind diejenigen, die im Zweifelsfall der Gefahr ausgesetzt sind“, sagt die Uniformierte, die weiß, dass viele „Reichsbürger“ gewaltbereit sind.

Ideologie „Reichsbürger“:

Die „Reichsbürger“ bestreiten die Existenz der BRD als legitimer und souveräner Staat und verweigern, Steuern und Bußgelder zu zahlen oder Gerichtsbeschlüssen und Verwaltungsentscheiden Folge zu leisten.

Die Überzeugung der Anhänger ist es, dass das Deutsche Reich fort-

besteht, und zwar entweder in den Grenzen des Deutschen Kaiserreichs oder in denen von 1937.

Entstanden ist die Szene in den 1980er-Jahren, seit 2010 tritt die lose Gruppierung verstärkt in Erscheinung.

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Erstellt:
15.07.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 35sec
zuletzt aktualisiert: 15.07.2017, 01:00 Uhr

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