Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes

Zeitgeist-Satire: Um seiner Flamme zu imponieren, tarnt ein Mann seinen Erntehelfer-Job als Recherche für ein Filmprojekt.

15.03.2017

Von Klaus-Peter Eichele

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes

Wie geht’s eigentlich dem Kommunismus? Verrottet er auf dem Müllhaufen der Geschichte oder steht ihm, mit Bernie Sanders und Jeremy Corbyn als schüchternen Vorboten, ein großes Comeback bevor? Dieser Frage widmet sich Regisseur Julian Radlmaier in seiner Abschlussarbeit an der Berliner Filmakademie – allerdings nicht bierernst, sondern in einem spielerisch leichten Tonfall.

Sein Protagonist beziehungsweise Alter Ego ist ein junger Mann aus dem Kulturprekariat. Der von Radlmaier selbst gespielte Julian dreht radikale Experimentalfilme, meistens ist er jedoch arbeitslos und wird deswegen vom Sozialamt zum Arbeitseinsatz auf einer ostdeutschen Apfelplantage verdonnert. Als verkopfter Hipster in Designer-Turnschuhen hat er unter den Saisonarbeitern aus aller Herren Länder, die von der Besitzerin mit krudem Motivationssprech („Apfel-Olympiade“) angetrieben werden, einen schweren Stand.

Mit von der Partie ist aber auch Julians Flamme, eine Kanadierin aus reichem Haus, der er vorgegaukelt hat, die Fronarbeit sei eine Undervocer-Recherche für ein Agitprop-Epos über moderne Formen der Ausbeutung. Um sie rumzukriegen, stellt er dieser Camille sogar eine Hauptrolle in Aussicht. Als sich durch Zufall eine Gelegenheit zum Umsturz der Herrschaftsverhältnisse ergibt, ist der Salonkommunist allerdings der erste, der kalte Füße bekommt. Doch sind auch die Proleten uneins, was man mit der neu gewonnenen Freiheit anstellen soll.

Aus diesem Handlungsgerüst destilliert der Regisseur einen in der deutschen Kinolandschaft ziemlich einzigartigen Mix aus ernsthafter Analyse des gegenwärtigen politischen Bewusstseins, galliger Zeitgeist-Satire und sanfter Komödie. Bei Julians tölpelhaften Versuchen, das weibliche Geschlecht zu umgarnen, kommt auch mal Slapstick zum Zug.

Dazu gesellt sich ein Sperrfeuer an Anspielungen auf die fortschrittlichen Traditionen der Kino-, Kultur- und Menschheitsgeschichte. Filmisch reichen sie von der Nouvelle vague über Pasolini bis zum russischen Revolutionsfilm; politisch von Deleuze über Marx bis zum heiligen Franz von Assissi. Dass dies nie angeberisch wirkt, die Reverenzen vielmehr klug die Geschichte flankieren und akzentuieren, ist ein weiteres Wunder, das einem dieser beeindruckende Debütfilm beschert.

Erkundet mit Witz und Scharfsinn, ob und wozu der Kommunismus heute noch nütze ist.

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Erstellt:
15.03.2017, 11:52 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 02sec
zuletzt aktualisiert: 15.03.2017, 11:52 Uhr

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