Berlinale

Wir Menschen dürfen auch lieben, was wir sind

Gold nach Ungarn: Die Jury begreift die Vergabe der Bären vor allem als humanistisches Statement.

20.02.2017

Von MAGDI ABOUL-KHEIR

Freude über den Darsteller-Bären: Georg Friedrich. Foto: dpa

Freude über den Darsteller-Bären: Georg Friedrich. Foto: dpa

Berlin. „Diesen Film versteht man nur mit einem großen Herzen. Und Gott sei dank gab es hier auf der Berlinale dieses Herz.“ Gerührt war sie, die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi, als sie am Samstagabend im Berlinale-Palast den Goldenen Bären entgegennahm. Aber trotz des emotionalen Überschwangs trafen ihre Worte einen Kern: In diesen politisch wie gesellschaftlich düsteren Zeiten ist das Herz wichtig.

Mitgefühl lautet das Thema ihres Films „On Body and Soul“. Enyedi erzählt die Geschichte der jungen Einzelgängerin Mária, die in einem Schlachthaus in Budapest als Qualitätsprüferin arbeitet und vorsichtig eine Beziehung zu ihrem Vorgesetzten Endre aufbaut: Seelenverwandte, die verwundert feststellen, dass sie nachts die gleichen Träume – Hirsche im Schnee – haben. Es ist ein zarter Film mit hintergründigem Humor über die Schwierigkeiten und die Angst, sich auf andere einzulassen, und über das Glücksgefühl, wenn einem das gelingt. Die Berlinale-Jury um Paul Verhoeven hat einen Siegerfilm gekürt, dem das fast jeder gönnte.

Mit etlichen Bären bewiesen die Juroren ein gutes Händchen. So mit dem Regie-Preis an Aki Kaurismäki: Wie in „Die andere Seite der Hoffnung“ ein syrischer Flüchtling im skurrilen Kosmos dieses Filmemachers seinen Platz findet, ist von wohltuender Wärme. Umso schrulliger und einsilbiger zeigte sich der Finne auf der Preisverleihung. Naja, wenn der Regisseur nicht zum Bären kommt, muss der Bär eben zum Regisseur kommen.

Der in Kinshasa gedrehte Film „Félicité“ ist ein weiteres humanistisches Statement: Eine Sängerin versucht, das Geld für eine Operation ihres kranken Sohnes aufzutreiben. Regisseur Alain Gomis bekam den Großen Preis der Jury. „Wir dürfen lieben, was wir sind“, sagte der Senegalese.

Von menschlicher Größe, von Trauer und dem Ringen um Würde handelt „Una mujer fantástica“ des Chilenen Sebastián Lelio. Der Drehbuch-Bär für die anrührende, kraftvolle Geschichte einer Transsexuellen: schön.

Hochverdient ist auch der Silberne Bär für eine besondere künstlerische Leistung: Mit ihm wurde Dana Bunescu, Cutterin des aufwühlenden rumänischen Beziehungsdramas „Ana, mon amour“ ausgezeichnet. Der Schnitt ist von entscheidender Bedeutung in dieser fragmentarischen, nicht chronologischen und doch schlüssigen Filmerzählung.

Überraschender fielen die Darsteller-Preise aus. Als Schauspielerin wurde die Koreanerin Kim Minhee für „On the Beach at Night Alone“, eine Tragikomödie um das seelische Nachbeben einer Affäre, geehrt. Und als bester Schauspieler wurde Georg Friedrich auserkoren. Die extrem reduzierte Vater-Sohn-Geschichte „Helle Nächte“ von Thomas Arslan hatte zwar nur wenige Berlinale-Zuschauer überzeugt, aber Friedrich gehört seit Jahren zu den stärksten Akteuren des deutschsprachigen Films. Und berührend war es zu sehen, wie sich der Wiener freute – auch wenn er erstmal seinen Kaugummi an die Bärentatze klebte.

Bleibt der Alfred-Bauer-Preis für den Film, „der neue Perspektiven der Filmkunst eröffnet“. Ist Agnieszka Hollands „Pokot“ so einer? Die Polin erzählt von einer älteren Tierschützerin, in deren Umfeld reichlich Jäger und Wilderer sterben. Der Film ist Thriller, ökologisch-feministische Utopie, wohl auch Komödie, und wenn sich herausstellt, dass die Tierschützerin – sorry, der Clou wird hier verraten – tatsächlich auch die Mörderin ist, stellt sich keinerlei Ambivalenz ein. Ist fragwürdige Moral also eine neue Perspektive der Filmkunst? Das bleibt das Geheimnis der Jury.

Und was sagte Festival-Chef Dieter Kosslick am Ende dieser oft so politischen Berlinale? Er dankte allen Filmemachern, „die versuchen, die Welt mit Poesie zu retten“. Magdi Aboul-Kheir

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Erstellt:
20.02.2017, 11:24 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 42sec
zuletzt aktualisiert: 20.02.2017, 11:24 Uhr

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