Zivilcourage ist möglich und tödlich: Berührendes Fallbeispiel aus Sizilien

100 Schritte

Zivilcourage ist möglich und tödlich: Berührendes Fallbeispiel aus Sizilien

24.11.2015

Von che

100 Schritte

Seit Menschengedenken geht in dem sizilianischen Städtchen Cinisi nichts ohne die Mafia, die gütig, streng und manchmal blutrünstig über das Wohl und Wehe wacht. Bis eines Tages der junge Peppino Impastato, selbst Sprößling eines Mafioso, lauthals verkündet, was die meisten Bewohner Cinisis nicht einmal zu denken wagen: „Die Mafia ist ein Haufen Scheiße!?

Kann das gut gehen? Natürlich nicht: Am 9. Mai 1978 wird Peppino tot neben den Bahngleisen gefunden ? angeblich hat er sich selbst umgebracht. Man darf dieses tragische Ende des Films hier vorwegnehmen, weil es sich im wirklichen Leben so zugetragen hat. Und doch hat die wahre Geschichte auch eine Art Happy-end. Vor drei Jahren gelang es Peppinos Familie, den Auftraggeber des Mordes vor Gericht zu bringen; 2002 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Schon zu seinen Lebzeiten hat Peppinos Zivilcourage vielen Sizilianern gezeigt, dass man die Macht der Mafia nicht als Naturgesetz hinnehmen muss.

„100 Schritte? von Marco Tullio Giordana ist ein Denkmal für Peppino Impastato, aber dank vieler Schattierungen bei der Zeichnung von Charakteren und sozialem Umfeld kein Heldenepos. Neben gutmenschlichem Gerechtigkeitssinn spielen bei Peppinos Angriff aufs kriminelle Establishment, die sich auf einen freien Radiosender stützt, auch Lust am Provozieren und eine gute Portion Eitelkeit eine Rolle. Auf der anderen Seite ist die Mafia nicht das abgrundtief Böse, sondern eine Organisation, deren Enstehen auch soziale Ursachen hat und von deren Existenz nicht nur Schwerverbrecher profitieren. Zum Beispiel Peppinos Vater, der zwischen Familien- und „Familien?-Bande letztlich aber zerrieben wird.

Tatsächlich zeigt „100 Schritte? weniger einen Kampf gegen das organisierte Verbrechen als gegen eine soziale Ordnung, die auf traditionalen Beziehungen statt auf demokratischen Prinzipien beruht. Folgerichtig ist Peppino weniger der todesmutige Einzelkämpfer aus den klassischen Politthrillern als vielmehr Repräsentant einer sozialen Bewegung, die mit ihrem antiautoritären Gestus, jugendkulturellen Elan und unkonventionellen Politikformen zur Demokratisierung Italiens beitrug. In Sizilien freilich unter härtesten Bedingungen und mit bisweilen tödlichen Konsequenzen.