Tübingen · Mediendrama

Bis die Fassade bröckelt

„Tausend Zeilen“ fiktionalisiert den Relotius-Skandal mit einer heftigen Dosis Boulevard.

30.09.2022

Von Dorothee Hermann

Da geht es noch aufwärts mit Starjournalist Lars Bogenius (Jonas Nay). Bild: Warner Bros. Pictures

Da geht es noch aufwärts mit Starjournalist Lars Bogenius (Jonas Nay). Bild: Warner Bros. Pictures

Hier der etwas laffenhafte aufstrebende Jungstar (Jonas Nay als Lars Bogenius), dort der eigentlich gutmütige, erfahrene Kollege (Elyas M’Barek als Juan Romero): Michael Bully Herbigs Kinofassung des Relotius-Skandals um gefälschte Reportagen beim angesehensten Nachrichtenmagazin der Bundesrepublik geht leider allzu schematisch vor.

Bogenius ist Single und Einzelgänger. Romero (im echten Leben: Moreno) wird als warmherziger Vater von vier kleinen Töchtern gezeigt, dem aufgrund von Dauerstress bei der Skandalaufklärung beinahe die Familie abhanden kommt.

Noch laffenhafter als Bogenius sind dessen Vorgesetzte. Im Film hängen sie weitgehend untätig im Hamburger Verlagshaus herum, genießen die spektakuläre Aussicht aus ihren Büros als Statussymbol und beschränken sich darauf, statt Politik verschärft Emotionen ins Magazin zu drücken und heftig nach unten zu treten.

Bogenius ist das leicht abgewandelte filmische Alter Ego des zunächst mehrfach preisgekrönten Journalisten Claas Relotius, der 2018 wegen gefälschter Reportagen und Interviews für den „Spiegel“ aufgeflogen war. Er versteht sich darauf, seine Geschichten wortreich ganz groß aufzublasen, und gilt seinen Vorgesetzten als Hoffnungsträger, gewissermaßen als Quotenbringer.

Ein Auftrag im Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA verändert alles: Bogenius übernimmt die Nordseite, wo angeblich die selbsternannte Miliz Border Wolves Jagd auf Migranten macht. Romero soll von Süden her ein besonders heftiges Migrantenschicksal dazuliefern. Als ihm erste Zweifel kommen, ob es die Border Wolves überhaupt gibt, hat er noch einen mühseligen Weg vor sich, der ihn beinahe den Job kostet. Es dauert quälend lange, bis überhaupt einer von seinen Kolleginnen und Kollegen bereit ist, ihm zuzuhören.

Trotz des sympathischen Underdogs in der Rolle des zähen Aufklärers dominiert die zynische Message: Alles ist korrupt in der Branche, und wenn doch mal einer etwas dagegen unternehmen will, hat er fast keine Chance. Die Lügenpressefraktion kann sich da nur bestätigt fühlen. (Ab 12; Museum/Planie)

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Erstellt:
30.09.2022, 21:57 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 56sec
zuletzt aktualisiert: 30.09.2022, 21:57 Uhr

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