Burning

Burning

Südkoreanischer Mystery-Thriller nach einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami: Ein junger erfolgloser Mann verstrickt sich auf der Suche nach einer Frau in einem Labyrinth aus Misstrauen und Paranoia.

10.07.2019

Von Madeleine Wegner

Burning

Haemi hält eine Mandarine in der Hand. Konzentriert, fast liebevoll löst sie Stück für die Stück die Schale von der Frucht. Schließlich nimmt sie einen Mandarinen-Spalt, steckt das saftige Stückchen Obst in den Mund und kaut genüsslich. Die Mandarine existiert nicht. Haemi demonstriert eindrucksvoll, was sie in ihrem Pantomime-Kurs gelernt hat. Vergessen, dass es keine Mandarine gibt und sich stattdessen nach der Frucht sehnen – das sei das große Geheimnis, erklärt die junge Frau ihrem Begleiter Jongsu.

Dies scheint auch das Geheimnis des eigenwilligen Psycho-Thrillers „Burning“ zu sein, der in Cannes im Wettbewerb um die Goldene Palme lief. Von der internationalen Kritik wird er seitdem in den höchsten Tönen gelobt,

gar als einer der besten Filme aller Zeiten gehandelt. Am Donnerstag eröffnete er im sehr gut besuchten Arsenal das vierte „Sundown Film Fest“.

Als Gerüst für seinen knapp zweieinhalbstündigen Film nutzt der südkoreanische Regisseur Lee Chang-dong eine Kurzgeschichte Haruki Murakamis („Scheunenbrennen“), die er nach Seoul und in eine ländliche Region nahe der nordkoreanischen Grenze verlegt. Jongsu (Yoo ah-in) und Haemi (Jeon Jong-seo) sind in dieser Gegend gemeinsam aufgewachsen. Als junge Erwachsene treffen sie sich in der Großstadt zufällig wieder. Was im folgenden passiert, ist nur schwer greifbar. „Burning“ handelt vom Verschwinden. Manchmal wünsche sie sich, wie die Abendsonne einfach zu verschwinden als hätte sie nie existiert, sagt Haemi mit Tränen in den Augen. Sie plagt der „Große Hunger“, wie ein Volk der Kalahari angeblich die Suche nach dem Sinn des Lebens nennt. Wenig später ist Haemi verschwunden.

Während Jongsu verzweifelt nach der Freundin sucht, verschwimmt zunehmend, was Realität, Wunsch oder Wahngespinnst ist – angestoßen durch den mysteriösen, reichen Ben („The Walking Dead“-Star Steve Yeun). Der brennt gern Gewächshäuser nieder, wie er behauptet – oder ist auch das nur eine Metapher? Lee Chang-dong bietet den Zuschauern keine Antworten im herkömmlichen Sinn. „Burning“ bleibt in der Schwebe, entzieht sich – wie Haemis Mandarine. Darin kann man ein Meisterwerk sehen, oder aber achselzuckend das Kino verlassen.

Wer den Zauber von Murakamis Werken schätzt, wird dessen traumwandlerische Welt in der Schwebe wiederentdecken.

Burning

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Erstellt:
10.07.2019, 13:52 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 06sec
zuletzt aktualisiert: 10.07.2019, 13:52 Uhr

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