Der Fall Richard Jewell

Der Fall Richard Jewell

Drama von Clint Eastwood um einen Wachmann, der zuerst als Held gefeiert und dann beschuldigt wird, die Bombe 1996 in Atlanta gelegt zu haben.

01.07.2020

Von Dorothee Hermann

Der Fall Richard Jewell

Richard Jewell (Paul Walter Hauser) ist ein unbeholfener, dicklicher Typ, der so gern ein richtiger Polizist wäre, aber als Wachmann gerade so über die Runden kommt. Diesen Loser, der mit 33 noch bei seiner Mutter (Kathy Bates als Bobi) wohnt, stellt US-Regisseur Clint Eastwood („Gran Torino“, „The Mule“) ins Zentrum seines jüngsten Films. Richard ist ein Mensch am Rand des amerikanischen Traums, zu gutmütig, um sich schließlich als Psychopath herauszustellen, und doch nicht leicht zu durchschauen.

Richard Jewell gab es wirklich. Als Wachmann bei den Olympischen Sommerspielen 1996 in Atlanta entdeckte er einen verdächtigen Rucksack, schlug Alarm und verhinderte wohl, dass noch viel Schlimmeres passierte: Zwei Menschen starben durch die Rohrbomben, die in dem Rucksack versteckt waren, mehr als 100 wurden verletzt. Die dicht gedrängt feiernde Menschenmenge im Centennial Park von Atlanta kommt einem nicht nur aufgrund der Corona-Abstandsempfehlungen wie aus einer sehr fernen Zeit vor, als auch Antiterroreinsätze noch selten waren.

Richard hat ein schlichtes Gemüt, scheint mit jeder Episode noch etwas dicker zu werden und bleibt trotz seiner Vorliebe für Baller-Videospiele und echte Schusswaffen harmlos und freundlich – und damit ein bisschen zu treuherzig für Trump-Amerika.

Doch diese komplett glamourfreie Figur kontrastiert mit Stereotypen des weißen Amerika, die jahrzehntelang auch in Hollywood gehätschelt wurden und längst brüchig geworden sind: wie etwa FBI-Mann Tom Shaw (Jon Hamm) mit dem Nussknackergesicht und die blonde Journalistin Kathy Scruggs (Olivia Wilde), die derart sexistisch dargestellt wird, als wäre die Me-Too-Debatte komplett an dem 90-jährigen Regisseur vorbeigegangen.

Beide – der Sicherheitsapparat und die Medien – brauchen dringend Erfolge. Da kommt ihnen der Loser am Tatort gerade recht: In einer kriminalpsychologischen Hauruckaktion wird der Held zum Verdächtigen.

Richard muss ohnmächtig ertragen, wie die geballte staatliche Maschinerie sich in sein Leben und das seiner Mutter (Kathy Bates als Bobi) hineinfrisst – mit einer Wucht und einer akribischen Besessenheit, die nicht einmal vor Bobis Tupperware haltmacht. Doch jeder schwarze Humor vergeht einem schnell ob der zermürbenden Verdächtigungen, Durchsuchungen und Demütigungen, die die beiden über Monate ertragen müssen – und die sich auch nach der formalen Rehabilitierung nie wieder ganz ausgleichen lassen. Das Vertrauen in den amerikanischen Staat und in ihre Mitmenschen ist Mutter und Sohn allzu gründlich ausgetrieben worden. Nur der erfolglose Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell) steht Richard nicht ganz uneigennützig zur Seite: Denn er wittert den spektakulären Fall, mit dem er sich einen Namen machen könnte.

Der echte Richard Jewell starb mit 44Jahren an Herzversagen. Erst vier Jahre zuvor war der wahre Bombenleger geschnappt worden. Der Film zeigt auch, wie schnell sich ein Klima des Verdachts und der Vorverurteilung breitmacht, dem ein Einzelner ohne Kontakte nahezu schutzlos ausgeliefert ist.

Film mit Botschaft: Kein äußerer Feind will dem weißen Mainstream-Amerika an den Kragen, es höhlt sich selbst aus.

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Erstellt:
01.07.2020, 10:06 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 29sec
zuletzt aktualisiert: 01.07.2020, 10:06 Uhr

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