Ein Muss für alle Nach-68er und solche, die es noch werden wollen.

Der Traum ist aus - Die Erben der Scherben

Ein Muss für alle Nach-68er und solche, die es noch werden wollen.

24.11.2015

Von ski

Der Traum ist aus - Die Erben der Scherben

Wahrscheinlich würden die Allesverkäufer von heute Ton Steine Scherben eine Kultband nennen. Aber das Berliner Rock-Kollektiv war mehr: Es gehörte zu den Pionieren der deutschsprachigen Rockmusik, es hatte in Rio Reiser deren schärfste Stimme, es ging als erste Band den steinigen Weg der Selbstvermarktung und rechnete zugleich mit dem Kapitalismus auf derart radikale Weise ab, dass kein Radiomacher Scherben-Platten auch nur mit spitzen Fingern anfassen mochte. Und bei alledem tönten die bekennenden Anarchos so prall und proll, dass sie selbst dem brävsten Schreibtischmarxisten eine gewaltbereite Gänsehaut über den Rücken jagten.

Kurzum: "Die Scherben waren die deutschen Stones. Nein, sie haben besser als die Stones gespielt." Sagt jedenfalls Element-of-Crime-Gitarrist Jakob Friderichs in Christoph Schuchs Ton-Steine-Scherben-Film, der über eine Band-Biografie hinaus auch den Versuch macht, die "Erben der Scherben" zu finden und sie nach dem Stellenwert des Politischen in der heutigen deutschen Pop-Landschaft zu befragen.

Wie kaum anders zu erwarten, fallen die Antworten eher nachdenklich bis resigniert aus. "Das ganze System ist heute sehr viel subtiler", meint etwa Tocotronic-Bassist Jan Müller. Nichts von ihrer subversiven Kraft hingegen scheinen die alten Scherben-Slogans verloren zu haben. Das zeigen sie noch im neuen Hip-Hop-Gewand, in welches das Department sie gesteckt hat.

Ans Original, speziell die vor einem Vierteljahrhundert in fast jeder WG vorrätige Doppel-LP "Keine Macht für Niemand", kommen die Updates allerdings nicht entfernt heran. Denn eins ruft Schuchs Film auf die ersten paar Akkorde ins Gedächtnis zurück: Der Mythos Ton Steine Scherben lebt nicht nur davon, dass Rio & Co Klartext sangen. Sie waren auch eine unverschämt gute Band.