Dokumentarfilm über einen schwäbischen Missionar, dem der kalte Ostwind ins Gesicht bläst.

Der große Navigator

Dokumentarfilm über einen schwäbischen Missionar, dem der kalte Ostwind ins Gesicht bläst.

23.11.2015

Von che

Der große Navigator

Nach hundert Metern rechts abbiegen, dann haben Sie Ihr Ziel erreicht?, säuselt das Navigationssystem. Wenigstens ein Erfolgserlebnis für Jakob Walter. Mit seinen eigenen Versuchen, die Menschen auf den rechten, den christlichen Weg zu führen, hat er weniger Glück. Aber der aus dem Schwäbischen stammende Missionar ist ja auch auf einem bockelharten Pflaster unterwegs: dem deutschen Osten, wo 40 Jahre Sozialismus die Religion offenbar mit Stumpf und Stiel ausgerottet haben. „Unser Gott heißt Bier? oder „Wenn ich Hilfe brauche, rufe ich die Polizei? sind die Sprüche, die der wackere Pietist tagaus tagein zu hören bekommt.

Jakob Walter ist der Held des neuen Dokumentarfilms von Böller und Brot. Hinter dem Pseudonym stecken Sigrun Köhler und Wiltrud Baier aus Stuttgart, die Volkskundlerinnen der deutschen Dokufilmszene. In ihrem vorletzten Film „Schotter wie Heu? nahmen sie die kuriose Tatsache einer computerlosen Bank zum Anlass für eine so witzige wie facettenreiche Nahaufnahme eines hohenlohischen Dorfes und seiner Bewohner. Auch in „Der große Navigator? ist der äußere Plot mehr ein Vorwand, um die Volksbefindlichkeit unter die Lupe zu nehmen ? diesmal im atheistischen Mecklenburg.

Ein Artikel im „Spiegel? hatte Köhler und Baier darauf gebracht, dass Missionare heutzutage nicht nur in Afrika oder Asien auf Schäfchenjagd gehen, sondern eben auch in der ehemaligen Ostzone. Über die Liebenzeller Mission gelangten sie an Jakob Walter, der nach 22 Jahren in Papua-Neuguinea gerade zu seiner neue Wirkungsstätte in Neubrandenburg aufbrach. Ein (Kirchen-)Jahr lang begleiteten die beiden den verdrucksten Schwaben auf seiner Bekehrungstour durch Fußgängerzonen, Diskotheken und Elektromärkte ? und dokumentieren vor allem sein grandioses Scheitern.

Das liegt in erster Linie an Walter selbst, der außer den stereotypen Sprüchlein von der „Liebe Jesu? und dem „ewigen Leben? den Heiden wenig zu bieten hat. Eingemauert in seinen Glauben, kann oder will er sich nicht auf die wirklichen Sorgen der Mecklenburger ? die Perspektivlosigkeit der jungen Leute oder die Hartz-IV-Armut ? einlassen. Hinzu kommt, dass die Ossies sich inzwischen ein dickes Fell gegenüber westlichen Heilslehren zugelegt haben. „Nachdem die Sache mit dem Kapitalismus schon nicht so dolle geklappt hat, wollen sie sich jetzt nicht auch noch die Religion aufschwatzen lassen?, resümiert Wiltrud Baier im Gespräch mit dem TAGBLATT.

Weil der Beton, gegen den der Missionar allenthalben rennt, filmisch nicht endlos ergiebig ist, suchten die Regisseurinen bei den Dreharbeiten auf eigene Faust nach attraktiveren Protagonisten ? und fanden zum Beispiel einen gewitzten Punk mit satanistischen Anwandlungen und einen Fischer mit philosophischer Schlagseite („Gott ist auch nur ein Mensch?). Deren Statements, die sich zu einem glaubwürdigen ostdeutschen Stimmungsbild verdichten, versprühen das wahre Leben und laufen der plumpen pietistischen Leier schnell den Rang ab. Dem verhinderten Menschenfischer bleibt letztlich nur der Stoßseufzer, dass ihm diese Welt fremder ist als Papua-Neuguinea.

Es spricht für Jakob Walter, dass er mit dem fertigen Film trotzdem kein Problem hat. Auf pietistischen Webseiten wird erstaunlicherweise sogar die Werbetrommel gerührt. Ob sich auch die Gottlosen aus dem Osten darin wiederfinden, muss sich noch zeigen ? im Februar gehen Köhler und Baier mit dem „Großen Navigator? auf Tour durch Mecklenburg. Auch in ihrem nächsten Projekt kommt es zum Kulturclash: Es handelt von Jimmy Carl Black, Frank Zappas ehemaligem Schlagzeuger indianischer Abkunft, der heute in Bayern lebt.

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Erstellt:
23.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 44sec
zuletzt aktualisiert: 23.11.2015, 12:00 Uhr

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