Deutschstunde

Deutschstunde

In der Bestseller-Neuverfilmung freundet sich ein Junge im Zweiten Weltkriegs mit einem Maler an und hintergeht seinen Vater, der den Mann überwachen soll.

01.10.2019

Von Madeleine Wegner

Deutschstunde

Was soll ein Mensch über „Die Freuden der Pflicht“ schreiben, wenn er als Kind die Perversion der Macht erlebt hat? Siggi (Tom Gronau) kapituliert vor dieser Aufgabe und gibt ein weißes, leeres Heft ab. Doch in seiner Zelle brechen die Erinnerungen auf ihn ein, wie die Wellen am Strand seines Heimatdorfes: Zusammen mit seinem Vater steht er im schlammigen Watt. Der Himmel ist weit und scheint trotzdem schwer auf dem Land zu lasten. Der Zweite Weltkrieg tobt. Davon zeugt ein Brief aus Berlin. Der Vater wird als einziger Polizist im Dorf zum pflichtbewussten Unheilsboten und überbringt dem Maler Max das Berufsverbot. Krank seien seine Bilder, die so etwas wie ungezügeltes, buntes Leben in die gewittergraue Landschaft und in die reetgedeckten, düsteren Backsteinhäuser bringt.

Mit „Deutschstunde“ hat Christian Schwochow – gemeinsam mit seiner Mutter Heide Schwochow, die das Drehbuch lieferte – den 1968 erschienenen Bestseller von Siegfried Lenz verfilmt. Bereits 1971 gab es eine Verfilmung, damals allerdings als Zweiteiler fürs Fernsehen. Dieser Stoff, der Pflicht und Moral verhandelt, sei heute wieder erschreckend aktuell, hat der Regisseur in Interviews immer wieder betont.

Vielfach kritisiert wurde Schwochow dafür, das Thema Emil Nolde aus seiner filmischen Interpretation getilgt zu haben. Der Expressionist diente Lenz als Vorbild für die Malerfigur Nansen. Noldes Kunst galt den Nazis zwar als „entartet“, der Künstler selbst jedoch war überzeugter Antisemit.

Im Film sind die Rollen klar verteilt: Es gibt den Guten – das ist der Maler in der Opferrolle – und es gibt den Bösen – das ist der Dorfpolizist, der keine Rücksicht auf seinen eigenen oder die Gefühle anderer nimmt, wenn es um die Erfüllung der Pflicht geht. Beide Männer benutzen den Jungen für ihre Zwecke. Der Vater verlangt Gehorsam und will aus seinem Jungen „etwas Brauchbares machen“. Der Künstler zieht den Jungen auf seine Seite und malt trotz des Verbots mit ihm.

[Textbaustein: ak0] Die Pflichtversessenheit auf der einen Seite und die Moral, die nicht dem bestehenden Regime gehorchen soll, auf der anderen Seite: Aus dieer Gegenüberstellung wird ein allzu plakatives Lehrstück. Es geht nicht um Nuancen oder um schleichende Prozesse. Macht wird hier brutal körperlich demonstriert – ob als Strafe an der brennendheißen Herdplatte oder bei der Untersuchung in der Besserungsanstalt.

Übertrieben wirkt in manchen Szenen auch das Spiel. Vor allem die älteren Schauspieler wie Tobias Moretti als Maler Max Nansen oder Ulrich Noethen als Dorfpolizist Jens Ole Jepsen scheinen der Kamera nicht zu trauen und arbeiten Gestik und Sprache ihrer Figuren überdeutlich aus als stünden sie auf einer Theaterbühne. Anders ist es bei Levi Eisenblätter als zehnjähriger Siggi und auch bei der hervorragenden Maria Dragus als Siggis Schwester und Verbündete Hilke.

Jahre später schreibt Siggi in der Zelle einer Besserungsanstalt wie zwanghaft all seine Erinnerungen auf. Absurderweise wird er erst durch den geforderten Besinnungsaufsatz zu einem freien und befreiten Mann.

Plakatives Lehrstück, das wesentliche Hintergrund-Informationen der Romanvorlage ausblendet.

Deutschstunde

Zum Artikel

Erstellt:
01.10.2019, 18:04 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 33sec
zuletzt aktualisiert: 01.10.2019, 18:04 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.