Russland 1936: Stalinistischer Terror macht idyllischem Landleben den Garaus.

Die Sonne, die uns täuscht

Russland 1936: Stalinistischer Terror macht idyllischem Landleben den Garaus.

24.11.2015

Von che

Die Sonne, die uns täuscht

„Sonnenfinsternis? nannte Arthur Koestler seinen gallenbitteren Schlüsselroman über die Liquidierung der alten Revolutionsgarde unter Stalin, damit ja keiner auf den Gedanken komme, ein Quäntchen Licht habe die Epoche des Terrors behelligt. Bei Nikita Michalkov lacht die Sonne dagegen die ganze Zeit hindurch vom Himmel, und nur der Titel bedeutet unmissverständlich, dass wir uns davon nicht in die Irre führen lassen sollen, weil zwischen gutem Wetter und böser Machenschaft kein ursächlicher Zusammenhang besteht. Denn wie bei Koestler geht es auch hier um das düsterste Kapitel sowjetischer Geschichte, aufgerollt anhand eines zunächst simplen Melodramas, das sich langsam und mit bestechender Klarheit den Weg zur Polittragödie bahnt.

Ganz zu Beginn, im Sommer 1936 scheint die russische Provinz noch ein Ausbund an Beschaulichkeit. Man plantscht im Fluss, schäkert im Birkenwäldchen, und in der Datscha des Genossen Kutov, eines verdienten Parteisoldaten, gibt man sich zu Tango und Cancan der Lebensfreude hin. Fast unmerklich verdunkeln pechschwarze Schatten die Idylle, geworfen von einem geschniegelten Bourgeois, der sich ? Michalkovs doppelbödige Ironie akzentuirend ? als gnadenloser Vollstrecker des stalinistischen Terrors (und zugleich als gehetzter Todesengel von Alain Delon?schem Kaliber) entpuppt.

Um das frühzeitige Ende des Kommunismus veranstaltet Michalkov jedoch kein Spektakel mit Pauken, Paraden und triefendem Theaterblut. Seine Trauer bleibt introvertiert, beherrscht, äußerlich kühl, und doch verdichtet sich die vorderhand frigide Strenge allmählich zu einer Emotionalität, die einem etliche eiskalte Schauer über den Rücken jagt. Fast 60 Jahre brauchte der russische Film, um in dieser noch immer klaffenden Wunde zu stochern.