Eiskalt servierte Grusel-Maultäschchen aus der Hexenküche des Jugendwahns.

Dumplings - Delikate Versuchung

Eiskalt servierte Grusel-Maultäschchen aus der Hexenküche des Jugendwahns.

24.11.2015

Von WOLFGANG HÜBNER, AP

Dumplings - Delikate Versuchung

Viele Tabus gibt es im Kino wirklich nicht mehr zu brechen. An Sex und Gewalt in allen Variationen hat sich das Publikum gewöhnt, auch Horrorfilme haben kaum noch etwas zu bieten, was länger gruseln lässt als die Verzehrdauer einer großen Tüte Popcorn. Ganz anders ist das bei der Hongkong-Kinoproduktion "Dumplings - Delikate Versuchung". Der Film des chinesischen Regisseurs Fruit Chan nach dem Drehbuch von Lilian Lee ist ein raffinierter Schocker, der verstört.

Dabei verzichtet Chan völlig auf mädchenmordende Maskenmonster, mysteriöse todbringende Videos oder ähnlichen Budenzauber. Vielmehr zeigt er eine äußerst attraktive Köchin namens Mei, deren gefüllte Teigtaschen einen sagenhaften Ruf genießen. Denn sie sollen nicht nur wohlschmeckend sein, sondern, was ungleich mehr ins Gewicht fällt, alternde Frauen verjüngen können. Mei selbst profitiert offensichtlich davon, soll die ehemalige Gynäkologin doch wesentlich älter sein, als ihr verführerisches Aussehen verrät.

Das Geheimnis ewiger Jugend lockt auch den früheren TV-Star Qing Li, nun die frustrierte Gattin eines ebenso reichen wie untreuen Mannes, in Meis kleine Hochhauswohnung. Es dauert einige Zeit, bis Qing Li und mit ihr den Zuschauern dämmert, was es mit der Füllungder - chinesisch Dim Sum genannten - Teigtaschen auf sich hat. Es würde dem Film seines besonderen Kitzels berauben, darüber mehr zu verraten. Es ist aber nichts weniger als eine abstoßende ethische Ungeheuerlichkeit, die sich in Meis Küche abspielt.

Was besonders verstört: Der originelle Einfall der Filmemacher ist alles andere als unglaublich, sondern ganz nah bei den Realitäten einer Menschheit, deren Individuen sich in beispiellosem Ausmaß und immer bedenkenloser quasi selbst zu reparieren suchen. Noch nie sind auf der Leinwand die inhumanen Konsequenzen dieser eitlen Anmaßung so unterhaltsam-gruselig in Szene gesetzt worden.

Mit Bai Ling in der Rolle der so unheimlichen wie sinnlichen Köchin Mei und Miriam Yeung als alternde Qing Li ist ein weibliches Duo zu sehen, das man so schnell nicht aus dem Sinn bekommt. Was den Film aus Hongkong ebenso bemerkenswert macht, ist sein realistisches Umfeld. Der Ort des Geschehens ist mitnichten düster-geheimnisvoll, sondern banal trostlos in der überbevölkerten Riesenstadt gelegen, fernab jeder Touristenherrlichkeit. Und die erschütternde Episode mit dem missbrauchten Schulmädchen, die auf tückische Weise Teil der Handlung ist, wäre in einem gewöhnlichen Horrorstreifen befremdlich anzusehen.

Aber an diesem abgründigen Film ist nichts gewöhnlich, auch nicht die bösartige Schluss-Pointe, die ein makabres Geschäft zwischen der betrogenen Ehefrau und der jungen Rivalin zum Inhalt hat. Spätestens dann wird klar: "Dumplings - Delikate Versuchung" ist nur scheinbar ein schockierender, unmoralischer Film. Tatsächlich ist es ein höchst originelles Kinostück, das zum Nachdenken provoziert und im Sinne einer höchst moralischen Aufklärung im Betrachter nachzuwirken vermag.