Das war also das famose Kreuzberg: Eine Klamotte für bierdunstige Schnurren aus dem Kiez.

Herr Lehmann

Das war also das famose Kreuzberg: Eine Klamotte für bierdunstige Schnurren aus dem Kiez.

24.11.2015

Von Thomas Mauch

Am Schluss von „Herr Lehmann? fällt die Mauer, im Film wie schon im Buch. Aber das ist ja auch in der Wirklichkeit passiert, was überhaupt der Grund ist, dass ich mir jetzt Leander Haußmanns Sicht der Dinge in einem Kino am Potsdamer Platz anschauen konnte, der vor gar nicht so ewiger Zeit noch eine staubige Wüste war. Niemandsland. Und nun das neue Herz im neuen Berlin.

Vielleicht aber muss man immer wieder von Früher erzählen, die alten Dinge geduldig neu erklären, weil man sich meist gar nicht vorstellen kann, dass die, die damals nicht dabei waren, selbst die einfachsten Sachen nicht wissen. Brauchen sie auch nicht, verblüfft nur im ersten Moment, wenn dann im Kino tatsächlich eine Reihe hinter einem die Frage diskutiert wird, ob es sich bei den hübschen blauen Scheinen, die auf der Leinwand über den Tresen gereicht werden, um Westgeld handelt. Hat man länger nicht mehr gehört. Westgeld. Manche in Deutschland haben es wirklich nie gesehen.

Aber, denkt man kurz: was für eine Aufgabe lastet hier auf dem Kino, soll das Feierabendvergnügen nun auch noch Geschichtsunterricht sein, der dann bei „Herr Lehmann? zumindest in den Details stimmt. Im Kuschelkiez Kreuzberg wurde Beck's getrunken, und das macht man auch im Film, massenhaft. Das bedeutsamere Setting, denn eigentlich brauchte Sven Regener in seinem Buch den Mauerfall doch nur als dramaturgischen Kniff, als weiteres Stückchen Zeitkolorit und vor allem als Rilkescher Imperativ: also „Du musst dein Leben ändern?, in seinem Entwicklungsroman um einen, den Herrn Lehmann, der sich eigentlich gar nicht entwickeln will, weil er sich eingerichtet hat in seinem ziellosen Leben, wie man das in den Achtzigern in Kreuzberg bequem führen konnte.

Mit Wehmut denken viele an diese Zeit zurück, an das Lotterleben im alimentierten Zipfel des Westens mitten im Osten, was den großen Erfolg von Regeners Buch zu erklären hilft, und natürlich musste das schnell als Filmprojekt abgewickelt werden, solange der Erfolg noch warm ist. Leander Haußmann hat es sozusagen als eine verwestlichte „Sonnenallee? gemacht, nur dass in dieser Geschichte das Personal die Pubertät bereits hinter sich hat. Es ist älter, und damit langweiliger.

Nach dem gewissenhaften Studium des Films dürfen die Teens aus meiner Hinterreihe für die Zukunft getrost glauben, dass Kreuzberg in seiner Endzeit nur so ein Hort von Kampftrinkern war, eigentlich eine recht schmuddelige Angelegenheit und auch ein wenig debil. Detlev Buck als Herr Lehmanns Trink- und Künstlerfreund Karl tut dabei des Guten wieder ein Stückchen zuviel und macht auf Schmierenkomödiant. Nur: er sticht damit nicht heraus. Alle bemühen sich hier nach Kräften, aus der Vergangenheit ein Verkleidungsspiel zu machen. Die Geschichte, entsorgt als Klamotte.

Aber Kino darf das und letztlich ist es auch gar nicht so wichtig. Etwas schade allerdings, dass dieses Nichts an Geschichte nicht mit mehr Wärme und eben nur mäßig unterhaltsam erzählt wird. Der Soundtrack jedoch ist toll. Natürlich konnte Sven Regener dabei auch was von seiner Band Element of Crime unterbringen.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 35sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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Rahel 13.10.200312:00 Uhr

so anheimelnd wie eine durchgeglühte heizdecke.

10.10.200312:00 Uhr

Schon ein wenig schräg. MTV lässt grüssen. Christian Ulmen ist (zum Glück?) keine zweite Liv Ullman ;-)

wus 10.10.200312:00 Uhr

Eigentlich eine leidlich unterhaltsame Milieustudie. Ärgerlicherweise verdorben durch unpassende Musik, überflüssige Liebesgeschichte und klischeehaften Schluß. Einmal anschauen reicht.

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