Verschmitzter und hintersinniger Film über einen jüdischen Emigranten in New York

Hester Street

Verschmitzter und hintersinniger Film über einen jüdischen Emigranten in New York

24.11.2015

Von d.a.i.

Hester Street

Noch ziemlich am Anfang des Films sehen wir auf dem Fernsehschirm ein Flugzeug ins World Trade Center rasen. Für die Geschichte hat das aber keine großen Folgen. Denn in Denys Arcands „Invasion der Barbaren? geht es nicht um den Tod Tausender, sondern um das Sterben eines Einzelnen, das alle Weltkatastrophen überstrahlt.

Diesen Rémy kennen Cineasten bereits aus dem Film „Der Untergang des amerikanischen Imperiums? aus dem Jahr 1986. Damals ließ Arcand einen Pulk akademischer Thirtysomethings (und parallel dazu deren Frauen und Freundinnen) in einer wahren Wortwitz-Orgie 100 Minuten lang über fast nichts als Sex parlieren. 17 Jahre später liegt Rémy im Sterben, und aus allen Ecken der Welt kommen die alten Kumpels ans Krankenbett, um aufgekratzt Abschied zu nehmen. Dazu gesellt sich Rémys Sohn Sébastien, der als Börsen-erfolgreicher Yuppie so gar nicht den lotterakademischen Vorstellungen seines Vaters und dessen Clique entspricht. Doch gerade der wird zum heimlichen Helden, weil er dem Vater das Heroin besorgt, damit dieser ohne Schmerzen auf seine letzte Party gehen kann.

Nicht nur wegen des Themas Tod ist die Fortsetzung im Tonfall erheblich melancholischer als das Original. Auch die politischen Veränderungen ? der 11.September natürlich, aber auch das Ende der sozialistischen Utopie ? haben diese wackeren Salon-Revoluzzer schwer gebeutelt. Und der Sex, über den nach wie vor ausgiebig schwadroniert wird, speist sich inzwischen mehr aus Erinnerungen als aus der Wirklichkeit.Dabei führt uns Arcand seine Protagonisten keineswegs als sentimentale alte Säcke vor. Trotz der Spuren des Alters sind sie erfrischend zynisch, schlagfertig und allzeit zur Selbstdemontage bereit, so dass einem die spritzig intellektuellen, aber niemals verkopften Sentenzen über den Zustand der Welt und ihres eigenen Daseins nur so um die Ohren fliegen.

Vor allem aber ist „Les invasions barbares?, der zurecht mit Festivalpreisen überhäuft wurde, ein durch und durch utopischer Film. Er zeichnet die Vision eines menschenwürdigen und selbstbestimmten Sterbens im Kreis von verständnisvollen, aber niemals verlogenen Freunden. Und er hält trotzig die Fahne eines (eigentlich längst ausgestorbenen) Lebensstils hoch, der Hedonismus und Humanität in Einklang bringt.