Filme machen viele. Aber Filme machen und als Zoll-Beamter arbeiten – was für eine abenteuerliche Existenz!

La petite chartreuse

Filme machen viele. Aber Filme machen und als Zoll-Beamter arbeiten – was für eine abenteuerliche Existenz!

24.11.2015

Von ust

 Jean-Pierre Denis. Bild: Faden

Jean-Pierre Denis. Bild: Faden

Jean-Pierre Denis führt dieses Doppelleben, ohne sich festlegen zu wollen, welchem Teil nun seine Leidenschaft gehört. Und vielleicht ist beides für ihn gar nicht so weit voneinander entfernt. „Ohne den TGV? jedoch könnte der 59-Jährige seine beiden Professionen nicht zusammenbringen. Film ? das ist nach wie vor Paris. Zoll ? der liegt für ihn in der Dordogne und bietet Aufgaben wie die Beaufsichtigung von Tiermehl-Transporten zu BSE-Zeiten.

Seit 1980 dreht Denis Spielfilme. In Cannes wurde er schon mit der „Goldenen Kamera? prämiert. Seine Stoffe siedeln in psychologisch interessanten Milieus. Das können zwei Dienstmädchen sein, die ihre Herrschaft umbringen („Les Blessures Assassines?); Denis wurde durch eine Zeitungsnotiz darauf aufmerksam. Es kann aber auch ein schwierig-düsteres Buch sein, das ihn anregt. So entstand „La petite chartreuse?, sein neuester Film, den er mit zum Französischen Filmfestival nach Tübingen brachte.

Ein Film, der kein Handicap scheut. Er spielt nicht in Paris, sondern in der Chartreuse, der zerklüfteten Bergwelt um Grenoble. Er hat einen fürs Kino unglaublich sperrigen Hauptdarsteller (Olivier Gourmet) und eine Geschichte, die das Publikum gleich in die Flucht treiben könnte. Die Hauptfigur ist ein Büchernarr, Gedächtniswunder und Kauz mit einer Vergangenheit voller geheimnisvoller Wunden und einer Zukunft ohne große Aussichten. Gourmet verleiht ihm ein Gesicht, wie man es aus dem Leben, aber nicht von der Leinwand kennt. Dieser Mann, der darunter leidet, dass er nicht vergessen kann, fährt ein Kind an, das daraufhin sein Bewusstsein verliert. Und er trifft eine Frau, die darunter leidet, dass sie alles vergisst.

Der Mann spricht mit dem Kind und erzählt ihm so lange Märchen, bis es die Augen öffnet. Am Ende wird er sein Leben geben, damit das Mädchen seines wiederbekommt. Der Film lebt von den Gegensatzpaaren. Ein philosophisches Denkspiel, das auf das gleichnamige Buch von Pierre Peju zurückgeht. Allerdings mit einigen Unterschieden. „Ich habe in der Schwärze des Buches ein Licht gesehen?, sagt der Regisseur. Der Autor jedenfalls trug die Veränderungen mit Fassung. Eine „sklavische Umsetzung? könne ohnehin niemand bei der Übertragung von Literatur in Kino erwarten. Wichtiger sei, so Denis, dass die Atmosphäre der literarischen Vorlage getroffen werde, dann seien Freiheiten unbedingt erlaubt.

Denis ließ anders als Peju das kleine Mädchen nicht sterben. Er tauschte sogar die vorgetragenen Märchen gegen das hoffnungsvollere Andersen-„Schneekönigin? aus. Er gab auch dem Mädchen ? trotz des Titels, der nicht nur auf die Landschaft, sondern auch auf den Kartäuser-Orden und sein Schweigegelübde verweist ? die verlorene Stimme wieder. Und er vermied bei aller Wärme, die er für die Figuren empfindet, jede Sentimentalität. Kein gefühligen Musikduschen prasseln auf das Publikum nieder, die Musik bleibt jazzig-kühl und distanziert.

Der Regisseur beherzigte bei seinem Film vor allem einen Wunsch: „Ich wollte Margot nicht zum Weinen bringen.? Margot, so heißt die französische Schwester von Lieschen Müller. Es ist Denis hoch anzurechnen, dass er diese zwei Bewohnerinnen des Tals der Tränen nicht im wehrlosen Zuschauer weckt.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 34sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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