Ein Film, der uns Liebesfilm-verliebten Cineasten das Messer an die Kehle setzt.

Rachida

Ein Film, der uns Liebesfilm-verliebten Cineasten das Messer an die Kehle setzt.

24.11.2015

Von che

Rachida

Zwei Filme über Terrorismus aus Algerien: "L'autre monde" und "Rachida"

Zwei Flug- plus ein paar Bahnstunden von Paris entfernt ist eine andere Welt. Hier werden Menschen wahllos erschossen und aufgeschlitzt, Frauen vergewaltigt, Kinder zerschmettert. Es ist die Welt des islamistischen Terrors, der Algerien im Würgegriff hält. Die junge Pariserin Yasemin in Merzak Allouaches meisterhaftem Film "L?autre monde" tut jedenfalls gut daran, sich vor der Abreise nach Algier ein schwarzes Kopftuch zu kaufen. Ihr Freund, ein Franko-Algerier, wurde dort von der Armee gekapert und ist gleich vom ersten Scharmützel mit Terroristen nicht zurückgekehrt. Yasemin, die kein Wort arabisch spricht, macht sich auf ins Herzland des Terrors, um ihn zu suchen.

„L?autre monde?, für dessen Herstellung Allouache nach sechs Jahren Exil in seine Heimat Algerien zurückgekehrt ist, beginnt als straightes Roadmovie mit Politthrill, in der Tradition aufrüttelnden Aufklärungs-Kinos á la „The Killing Fields? oder „Cry Freedom?: zornig, zupackend, nicht besonders analytisch, dafür mit hintergründigem Humor. Während Yasemins Reise in die Finsternis sind die Rollen klar verteilt: Hier die mutige, moralisch integre junge Frau; dort die blutrünstigen, verschlagenen, allenfalls vordergründig religiösen Terroristen. Zwischen den Fronten agiert die Armee willkürlich, chaotisch, ohne rechten Effekt.

Doch dabei bleibt es nicht. Schon nach knapp einer Stunde hat Yasemin ihren Geliebten aufgespürt ? ausgerechnet in einem Bordell in der Wüste. Hier kommt die Geschichte, vorerst, zum Stillstand, ähnlich wie in Coppolas „Apocalypse Now?, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Allouache stilisiert das Freudenhaus mit kraftvollen Bildern und ausgeklügelten Figuren zur Fluchtburg der Würde und der Hoffnung. Ein äußerst bedrohtes Paradies, versteht sich.

Mit der epischen Wucht von „L?autre monde„ kann und will der Debüt- und Wettbewerbsfilm von Festival-Gast Yamina Bachir Chouikh nicht mithalten. Rachida ist eine intime, schleichend unter die Haut gehende Reportage. Ihre Titelheldin ist eine Lehrerin, die ? nachdem sie in Algier von Fundamentalisten überfallen und niedergeschossen wurde ? in einem abgelegenen Dorf ihr Trauma kurieren möchte. Doch auch dieser Flecken ist der Mikrokosmos eines Landes, in dem, wie es einmal heißt, bloß Alpträume umsonst sind.

Das Thema von „Rachida? ist weniger der Terror als die Angst davor, die nicht minder verheerend und verro-hend wirkt, alle Hoffnung und Zukunftsentwürfe erstickt. Und vor allem ist es ein Film für die algerischen Frauen, die nicht nur die bevorzugten Opfer des religiösen Wahns (in Wahrheit: banaler sexueller Gewalt) sind, sondern auch noch mit bizarren gesellschaftlichen Gebräuchen geschurigelt werden.

Nackte Gewalt blitzt nur wenige Male auf, dann aber umso brutaler. Die für uns verwirrendste Szene ist der anfängliche Angriff auf Rachida, der nicht, wie vielleicht gedacht, von vermummten, rauschebärtigen Gotteskriegern ausgeführt wird, sondern von jungen Leuten mit Turnschuhen und Baseballkappen. Das Bild vom Taliban-ähnlichen Islamisten sei ein westliches Missverständnis, sagt dazu die Regisseurin trocken, „das sind oft ganz normale Jungs ? unsere Kinder?.

Sowohl „L?autre monde? als auch „Rachida? beweisen, ganz nebenbei, dass die aktuelle Weltlage wenig mit einem Kulturkampf zwischen islamischer Welt und dem „Westen„ zu tun hat, sondern, um?s mal ganz platt zu sagen, ein Konflikt ist zwischen den Guten und den Bösen auf beiden Seiten. Dass keiner dieser zwei Fanal-Filme, denen man von allen (bisher gesehenen) Filmtage-Streifen die weiteste Verbreitung wünscht, im Wettbewerb um den Verleihförderpreis steht, ist gelinde gesagt merkwürdig.