Toni Erdmann

Toni Erdmann

In dem Drama mit komödiantischen Akzenten will ein Vater seiner karrierefixierten Tochter eine Lektion erteilen.

02.03.2017

Von Klaus-Peter Eichele

Toni Erdmann

Seit den Glanzzeiten von Fassbinder und Wenders wurde kein deutscher Film mehr so bejubelt. Dass ihn Jury beim Festival in Cannes links liegen gelassen hat, quittierten auch ausländische Kritiker, die sonst viel Häme übers Teutonen-Kino ausgießen, mit Kopfschütteln.

Dabei behandelt „Toni Erdmann“ kein weltbewegendes Thema. Es geht vielmehr um einen Generationskonflikt, repräsentiert von dem ambitionsarmen Musiklehrer Winfried Conradi (Peter Simonischek) und seiner ehrgeizigen Tochter Ines (Sandra Hüller aus „Requiem“). Winfried ist ein in die Jahre gekommener Sponti, der zum traurigen Scherzkeks mutiert ist. Mit seinem Faible für alberne Maskeraden geht er inzwischen allen auf die Nerven. Besonders zur Lebenswelt von Ines tun sich Abgründe auf: Die karrierefixierte und hyperpenible junge Frau düst durch die Welt, um für eine große Unternehmensberatung Firmen zu sanieren, sprich: Arbeiter auf die Straße zu setzen.

Als sich die beiden eingangs des Films auf einer Familienfeier treffen, ist schnell klar, dass es keinen Gesprächsfaden mehr gibt. Umso befremdeter ist Ines, als der alte Herr wenig später überfallartig an ihrem Arbeitsplatz in Bukarest auftaucht. Notgedrungen schleppt sie den schlampigen Chaoten mit zu Geschäftsterminen, was ihr eine Fettnäpfchen-Situation nach der nächsten beschert. Winfried wiederum ist zunehmend frappiert von Ines‘ zombiehafter und freudloser Business-Existenz – und beschließt, ihr mit trashiger Perücke und Scherzgebiss eine komödiantische Lektion zu erteilen.

In durchweg unterhaltsamen, mitunter aufwühlenden zweieinhalb Stunden erörtert Regisseurin Maren Ade („Der Wald vor lauter Bäumen“) die Frage, ob es zwischen Vater und Tochter trotz gänzlich inkompatibler Lebensentwürfe eine Ebene der Verständigung, vielleicht sogar eine emotionale Annäherung geben kann. Dabei mischt die Regisseurin subtile Charakter- und Beziehungsanalyse dermaßen stilsicher mit zum Brüllen komischen Szenen, dass „Toni Erdmann“ in der Tat einzigartig in der deutschen Filmlandschaft steht. Herausragende darstellerische Leistungen runden das ganze zum großen Kino ab.

Vielleicht hat die Jury in Cannes gestört, dass Kapitalismuskritik von Maren Ade bloß angetäuscht wird. Ines‘ Plattmach-Job ist nur im Hinblick auf ihre private Befindlichkeit von Belang und verschwindet irgendwann ganz hinter dem Ringen um familiäre Harmonie. Da hat ein Ken Loach, der für sein Sozialkahlschlag-Drama „Ich, Daniel Blake“ die Palme gewonnen hat, natürlich erheblich mehr an politischem Kampfgeist vorzuweisen.

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Erstellt:
02.03.2017, 22:11 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 08sec
zuletzt aktualisiert: 02.03.2017, 22:11 Uhr

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Klex 16.07.201617:53 Uhr

Wird sehr zurecht bejubelt: witzig, originell und mutig, subtil und bizarr, lang und kurzweilig, brillant gespielt und beglückend, persönlich und politisch.