Tübingen · Kino

Traditionen und Tragödien

Lady Di hat die Orientierung verloren: Pablo Larraíns Porträtfilm „Spencer“ begleitet die unglückliche Prinzessin drei Tage lang.

14.01.2022

Von Thomas Volkmann

Im goldenen Käfig von Schloss Windsor: Dort werden dann auch noch die Vorhänge zugenäht, damit kein Blick hinein – oder hinaus – gelangt. Kristen Stewart spielt die Hauptrolle in einem Film, der nicht zufällig „Spencer“ statt „Lady Di“ heißt.Bild: DCM

Im goldenen Käfig von Schloss Windsor: Dort werden dann auch noch die Vorhänge zugenäht, damit kein Blick hinein – oder hinaus – gelangt. Kristen Stewart spielt die Hauptrolle in einem Film, der nicht zufällig „Spencer“ statt „Lady Di“ heißt.Bild: DCM

Schon um es den Paparazzi nicht zu einfach zu machen, ist der Weg nach Schloss Sandringham, einem Landsitz der britischen Königsfamilie, nicht sonderlich beschildert. Gut, heute wäre das mit Navis sicher kein Problem, aber ein solches war für den Sportwagen von Prinzessin Diana (Kristen Stewart) zu Beginn der 1990er Jahre halt noch nicht verfügbar.

Und so steht sie zur Verblüffung nunmehr sprachloser Gäste plötzlich mittendrin in einem Fish’n’Chips-Lokal und fragt nach dem Weg. Der Paparazzi wegen werden später auch noch die Vorhänge in Dianas Zimmer zugenäht, woraufhin sie gegenüber dem für ihre Sicherheit auf dem Schloss zuständigen Ex-Offizier (Timothy Spall) anmerkt, die Teleobjektive seien ja sowas wie Mikroskope und sie das Insekt, das seziert und dem Beine und Flügel ausgerissen würden.

Pablo Larraíns dreitägiger Ausflug ins Leben der – zehn Jahre zuvor in die königliche Familie eingeheirateten – Diana Spencer ist kein typischer Porträtfilm, der sich an markanten Stationen eines Lebens abarbeitet. Im Vorspann bezeichnet sich der Film gar als „Fabel einer wahren Tragödie“. Mehrfach hervorgehoben wird, dass es im Haus der Royals eine Zukunft nicht wirklich gibt und Vergangenheit und Gegenwart gewissermaßen das Gleiche seien und Traditionen grundsätzlich über allem stünden.

Dazu gehört im ausgewählten Zeitfenster des weihnachtlichen Familientreffens, dass sich jeder Teilnehmer vor- und nachher wiegen lassen muss, um festzuhalten, ob und wie die von Militärkolonnen in Kisten angeschleppten Weihnachtsköstlichkeiten angeschlagen haben. Drei Pfund plus sind quasi Pflicht. Auch die Garderobe ist für jeden Anlass bereits vorbestimmt.

Diana stört sich an diesem Korsett an Regeln und Abläufen. Und Larraín, der mit „Neruda“ und „Jackie“ über die Witwe des US-Präsidenten JFK zuvor schon für bemerkenswerte Spielfilmporträts über bemerkenswerte Persönlichkeiten verantwortlich zeichnete, zeigt denn auch, was die Rolle der Princess of Wales der königlichen Schwiegertochter in psychischer Hinsicht so alles abverlangt – und was es mit ihr macht.

Bulimisches Erbrechen oder visionäre Begegnungen mit Anne Boleyn, der zweiten Ehefrau von Heinrich VIII., sind die Folge. Symbolisch das wiederholte Zerreißen einer Perlenkette, die Diana auf einem Foto auch schon am Hals der Geliebten ihres Mannes gesehen haben will. Als wolle sie sich von den Ketten ihrer Machtlosigkeit befreien.

Larraín und seinem Drehbuchautor Steven Knight („Peaky Blinders“) ging es um die subjektive Wahrnehmung und die Psyche von Diana. Kristen Stewart eignet sich ihre Figur dabei, von der Sprechweise bis zur Körpersprache, in jeder Facette an und lässt so eine Vertrautheit jenseits des Boulevards entstehen. Unterstützung erfahren die emotionalen Befindlichkeiten auf der Tonspur durch schräge Töne von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood. (Ab 12; Museum/Kamino)

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Erstellt:
14.01.2022, 18:53 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 20sec
zuletzt aktualisiert: 14.01.2022, 18:53 Uhr

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