Über die Unendlichkeit

Über die Unendlichkeit

Untersucht das menschliche Dasein im Brennglas vieler einzelner kurzer Geschichten und Episoden.

16.09.2020

Von Madeleine Wegner

Über die Unendlichkeit

In seltsames Licht sind diese Szenen getaucht: In das Zwielicht der bedrückenden und seltsamen Stille kurz vor einem Unwetter, in das trübe Grau verstaubter Pastellfarben, wie von einem Schleier bedeckt, der sich gleichsam über verblasste und wertlos gewordene Erinnerungen legt.

„Ich sah eine Frau, die liebte Champagner.“ „Ich sah einen Mann, der bettelte um sein Leben.“ „Ich sah einen Jungen, der die Liebe noch nicht gefunden hatte.“ Eine Erzählerin stellt aus dem Off verschiedene Szenen vor. Die präzisen Tableaus, die wie perfekt durchchoreografierte Theaterszenen wirken, sind lose aneinandergereiht. Eine verbindende Geschichte erschließt sich nicht unmittelbar, dafür öffnet sich Raum für Assoziationen. Dialoge gibt es nur wenige im Film. Die meisten Figuren wirken verstummt, als hätte sie längst keine Worte mehr in sich.

Mit „Über die Unendlichkeit“ verfolgt der 77-jährige schwedische Regisseur Roy Andersson („Eine Taube sitzt auf einem Zweig...“) einen ambitionierten Ansatz. Seine Szenen atmen eine aufgeräumte Tristesse, die in eine erstaunliche Gleichgültigkeit und Kälte zu münden scheint. Zwei Liebende schweben Arm in Arm still über einer vom Krieg zerstörten Stadt. Man mag an Wim Wenders denken. Traurige Trinker an langen leeren Theken. Bei Aki Kaurismäki würden diese stillen Szenen Bände erzählen.

Es könnten Bilder voller Poesie sein angesichts aller Einsamkeit und allzu deutlicher Endlichkeit. Ein Album, indem Betrachter blättern und ihren eigenen Erzählfaden spinnen könnten. Würde Andersson nicht allzu abgegriffene Bilder verwenden. Enttäuscht abwenden mag man sich spätestens, wenn er nicht nur Christus, sondern auch noch Adolf Hitler heranzieht, und ihn in den letzten Tagen des Krieges in seinem Bunker zeigt. Der Versuch, das ganze Leben zu fassen – er scheitert gerade in diesem Ansatz.

Eine starke und ebenso berührende wie witzige Szene liefert immerhin ein schlecht gelaunter Zahnarzt, der lieber in die nächste Kneipe geht, als einen quengelnden Patienten zu behandeln. Und draußen vor den tiefen Fenstern fällt Schnee in großen Flocken – friedlich und still.

Bietet in präzisen Tableaus Raum für Assoziationen. Scheitert jedoch in seinem Ansatz, das ganze Leben abzubilden.

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Erstellt:
16.09.2020, 11:31 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 03sec
zuletzt aktualisiert: 16.09.2020, 11:31 Uhr

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