Von Alaska nach New York: Mehr als 30 Bären gesehen

8000 Kilometer und eine Menge Erdnussbutter später: Abenteurer Leonard Schlüren über seine Tour

Als ihm das erste Mal das hintere Rad gebrochen ist, stand Leonard Schlüren mitten im Nirgendwo, ein bisschen vor Lake Louise im kanadischen British Columbia. „Dann musste ich die nächsten 72 Kilometer trampen, bis ich überhaupt wieder in ein kleines Dorf kam“, erzählt er.

14.03.2018

Von Kathrin Kammerer

Ein Abenteuer fürs Leben: Leonard Schlüren fuhr 8000 Kilometer von Alaska nach New York. Bilder: Schlüren

Ein Abenteuer fürs Leben: Leonard Schlüren fuhr 8000 Kilometer von Alaska nach New York. Bilder: Schlüren

Dort kaufte er für 60 Dollar ein neues Hinterrad. Auch das brach ihm auseinander – da war er aber schon in New York angekommen, am Ziel der viermonatigen Radreise, die in Anchorage/Alaska begonnen hatte (wir berichteten).

8000 Kilometer quer durch den nordamerikanischen Kontinent, bei Wind und Wetter: „Es war schon klar, dass es nicht einfach wird“, resümiert der 22-Jährige ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr aus Amerika. Auch dass sein Rennrad für diesen harten Weg nicht unbedingt prädestiniert war, wusste er: „Deshalb hatte ich 15 Ersatzspeichen dabei. Aber dass mir gleich das ganze Rad bricht, hab’ ich nicht geahnt.“

Als er 18 Jahre alt war, ging Schlüren auf seine erste Rad-Reise: Von Reutlingen fuhr er nach Istanbul. Dort angekommen, flog er weiter nach Moskau, um schließlich mit der Transmongolischen Eisenbahn in die Mongolei zu fahren. Seine zweite Rad-Reise ging wenig später nach Lissabon. Um sich schließlich auf seine Amerika-Durchquerung vorzubereiten, trainierte er monatelang im heimischen Reutlingen: Es standen Übungseinheiten auf den Übersberg an, Kampfsport und ausgiebige Joggingsrunden.

„Die ersten 2500 Kilometer auf dem Alaska Highway waren extrem bergig und sehr anstrengend“, erzählt Schlüren. Er ist groß, schlank, drahtig, tritt selbstbewusst auf. Man zweifelt nicht an, dass er sich trotz seines jungen Alters auch alleine am anderen Ende der Welt, mitten in der kanadischen Wildnis, zu helfen weiß. Manchmal, so erzählt Schlüren, sei er tagelang nur auf verlassene Holzhaus-Siedlungen gestoßen. Da wurde auch schon mal das Trinkwasser knapp. „Ich konnte immer nur höchstens zehn Liter mitnehmen“, sagt er.

120 Nächte war er insgesamt unterwegs, rund 100 davon im Zelt. „Das mulmige Gefühl wegen der Bären blieb auch nach den ersten Übernachtungen“, sagt er. Nahrung und alle anderen Sachen, die irgendwie riechen, habe er immer in einem speziellen Bärencontainer verstaut. Dieser wurde dann in ausreichend großer Entfernung zum Zelt aufgehängt.

Einmal sei er nachts aufgewacht, als er knackende Äste hörte. Dann sei er da gesessen, mit einem Messer und einem GPS-Gerät in der Hand, und mit so viel Angst wie noch nie. „Ich hatte nicht mal ein Bärenspray“, erinnert er sich an die schreckliche Nacht. Wenig später erfuhr er von Einheimischen, dass er wohl wilde Pferde gehört hatte. Er sei erleichtert gewesen – und habe sich trotzdem sofort ein Bärenspray gekauft.

Während der Fahrt auf dem Highway sah er mehr als 30 Bären am Straßenrand, erzählt Schlüren. Dann habe er gewartet, bis ein Auto kommt. „Neben dem Auto bin ich her gefahren, hab’ es sozusagen als Schutzschild genommen, um heil am Bären vorbei zu kommen“, erzählt er. Im Yukon wusch er Gold und fällte Bäume gemeinsam mit einem Einheimischen. Dieser lebt dort alleine in einer Hütte in den Wäldern, Schlüren zeltete neben der Hütte. Am 5. September, an seinem 22. Geburtstag, lernte er schließlich Bruce kennen, einen anderen Radfahrer. Dieser lud ihn zur Feier des Tages auf ein Eis im Schnell-Imbis ein, die weiteren 1000 Kilometer brachten die beiden dann gemeinsam hinter sich.

Schlürens Hauptnahrungsmittel während der anstrengenden Reise war Erdnussbutter. Die hat mit sechs Kalorien pro Gramm nämlich die höchste Nährstoffdichte, erklärt er. Mehr als drei Kilo löffelte der 22-Jährige davon innerhalb der ersten beiden Monate. Manchmal tunkte er den Erdnussbutter-Löffel gar in Haferflocken ein, „die sind nämlich auch sehr nahrhaft“.

Kulinarisch anspruchsvoll sei dieser Teil der Reise jetzt nicht unbedingt gewesen, gibt er zu, manchmal gab’s tagelang nur Nüsse und Nussmus, möglichst viele Kalorien verteilt auf möglichst wenig Gewicht. Aber für die hundert Kilometer, die durchschnittlich pro Tag anstanden, benötigte er eben ordentlich Energie. „Jetzt kann ich allerdings keine Erdnussbutter mehr sehen“, sagt er und lacht.

Noch während seiner Reise bekam der 22-Jährige die Zusage zum Psychologie-Studium in Saarbrücken. Auf die Wohngemeinschaft dort bewarb er sich via Skype. Ist denn schon die nächste Rad-Reise geplant? Bislang nicht, sagt der Erstsemester. Das Studium und das Schneiden des Amerika-Films (siehe Infobox) nehmen momentan dann doch alle Zeit in Anspruch.

Schlüren und sein einheimischer Gastgeber, im kanadischen Nirgendwo.

Schlüren und sein einheimischer Gastgeber, im kanadischen Nirgendwo.

Hunderte Filmminuten aus Alaska

Die zweite seiner beiden, 15 Kilogramm schweren Satteltaschen hatte Leonard Schlüren nur mit Film und Fotoausrüstung gefüllt. Der begeisterte Hobbyfilmer wollte die Menschen porträtieren, die er auf dem Weg trifft. „Das sollte kein typisches Filmtagebuch werden, vielmehr eine Auseinandersetzung mit den Leuten, die in dieser Einsamkeit leben“, sagt er. Mit 1000 Gigabyte Material im Gepäck kam er zurück, 800 davon sind reine Filmaufnahmen. „Das ist unglaublich viel Arbeit, das erstmal alles zu sichten“, sagt Schlüren. „Und ich bekomme richtig Fernweh dabei.“ Wenn der sogenannte Rohschnitt fertig ist, entscheidet er, ob er den Feinschliff selbst macht oder einen Fachmann ranlässt. Schlüren hat zwar selbst mehrere Praktika im Film- und Fotobereich gemacht und vor seiner Reise eine eigene Werbefirma gegründet. Wenn er den fertigen Film dann aber, wie eigentlich geplant, weiter vermarkten will, sei Expertenhilfe gar nicht falsch, sagt er.