Landkreis als Sorgenkind

AOK-Chef Hartmut Keller sieht aber auch Positives im Gesundheitswesen in Horb

Auf die Verantwortlichen in der Gesundheits-Branche warten in den nächsten Jahren große Herausforderungen. Die SÜDWEST PRESSE hat mit dem Geschäftsführer der AOK Nordschwarzwald über die Probleme gesprochen und sieben Lösungsansätze gesammelt.

22.04.2016

Von Vincent Meissner

AOK-Chef Hartmut Keller sieht aber auch Positives im Gesundheitswesen in Horb

Horb. Als Lobbyist im Namen der AOK-Versicherten ist Hartmut Keller unterwegs. Der Chef der Allgemeinen Ortskrankenkasse Nordschwarzwald sagt: „Wir sind kommunal gut vernetzt.“ Als Geschäftsführer ist er verantwortlich für fast eine Viertelmillion Versicherte in den Landkreisen Freudenstadt, Calw, Enzkreis und dem Stadtkreis Pforzheim. „Wir sind vor Ort, kennen die Probleme und nehmen das auf“, sagt Keller.

Die große Herausforderung:

Die ärztliche Versorgung

im ländlichen Raum

Die wohl größte Herausforderung im Landkreis Freudenstadt und auch in Horb ist die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum. Das gilt sowohl für Allgemein-Hausärzte, als auch für Fachärzte. Das Sorgenkind der AOK Nordschwarzwald in Bezug auf den medizinischen Versorgungsgrad ist der Landkreis Freudenstadt, sagt Keller. Das große Problem ist das fortgeschrittene Alter vieler niedergelassener Ärzte: Eine erhebliche Menge geht innerhalb der kommenden Jahre in Ruhestand. Dann droht eine große Versorgungslücke.

Ganz so negativ wie viele Horber will Keller die aktuelle Situation jedoch nicht sehen: „Wir sind ordentlich versorgt hier im Horber Raum“, sagt er. Und zur Verdeutlichung nimmt er als Beispiel eine Großstadt wie Hamburg: „Wie lange brauchen Sie dort ins Krankenhaus?“, fragt er. Und antwortet selbst: Mit dem Verkehr dauere das locker mal eine halbe Stunde. „Länger braucht die Fahrt nach Freudenstadt auch nicht.“

Die Lösungsansätze:

Berufsimage, Stipendien

und Spezialprogramme

Ansatz 1: „Wir müssen sehen, dass wir es schaffen, Ärzte nach zu Horb bringen“, sagt Keller, „dass sie Horb lieben lernen.“ Denn: „Wir haben genügend Ärzte in Deutschland, aber sie sind ungleich verteilt.“ Ein Lob verteilt Keller an den Landkreis für die ausgelobten Stipendien: Bis zu vier Studierende sollen während des Studiums 500 Euro monatlich bekommen und verpflichten sich im Gegenzug dazu, nach ihrer Zulassung als Arzt so lange im Landkreis ärztlich tätig zu sein, wie sie die Beihilfe bekommen haben. „Das ist gut, um Medizinern die Region zu zeigen. Und vielleicht gefällt es ihnen ja“, sagt Keller. Wichtig sei auf jeden Fall ein stabiles Krankenhaus für die Ausbildung der Ärzte. „Dort, wo Sie noch nie waren, gehen Sie auch eher nicht hin zum Arbeiten“, erklärt Keller. Als positiv erachtet er, dass das Freudenstädter Krankenhaus in der Ausbildung schon mit dem Tübinger Uniklinikum zusammenarbeitet.

Ansatz 2: Als richtigen Schritt bewertet Keller an der dortigen Uni die Einrichtung einer Professoren-Stelle für Allgemeinmedizin. Allein, dass damit ein Lehrstuhl für Hausärzte existiert, steigert schon die Attraktivität des Berufsbilds, meint er. Erste Inhaberin des Lehrstuhls ist Prof. Stefanie Joos: „Sie ist sehr aktiv in der Region“, sagt Keller. Im Calwer Raum ist inzwischen sogar die Famulatur, eine Art Ärzte-Praktikum, in Hausarzt-Praxen möglich.

Ansatz 3: Auch Gemeinden und Städte müssen sich wohl umtun in Zukunft, um Ärzte anzuziehen. „Ob die gleich einen Bauplatz anbieten müssen, ist die andere Frage“, sagt Keller. Schließlich bestehe ja keine Residenzpflicht mehr. Aber gewisse Anreize sollten die Kommunen ihren Ärzten schon bieten. Auch ein Bürgerbus könnte ein ergänzender Ansatz sein, damit Menschen ohne Auto zum Arzt kommen. „Das halte ich für eine kommunale Aufgabe, die sinnvoll sein kann“, sagt Keller.

Ansatz 4: Ein Problem, das Keller in den vergangenen Jahren zunehmend ausgemacht hat, ist der schlechte Ruf des Arztberufs. „Nicht negativ über den Arztberuf reden“ ist für ihn deshalb ein zentraler Ansatz auf der Suche nach niedergelassenen Ärzten. Doch gerade Hausärzte sind mitunter nicht gerade zimperlich im Urteil über ihren Beruf.

Ansatz 5: Als Aushängeschild der AOK Nordschwarzwald bezeichnet Keller die Regiopraxis in Baiersbronn. Dort haben sich fünf Hausärzte in einer Praxis zusammengetan. Die AOK ist als Ankermieter dabei. „Sowas brauchen wir auch in Horb“, sagt Keller. Zwar gibt es hier das Medizinische Versorgungs-Zentrum (MVZ) im Gebäude des früheren Krankenhauses. Doch im Unterschied zu Baiersbronn sind es hier fünf völlig getrennt organisierte Praxen. In einer gemeinsamen Praxis könnten die Ärzte noch mehr Vorteile nutzen und hätten einen geringeren Aufwand, sagt Keller. Auch Vertretungslösungen seien einfacher: „Wenn man ein Ärztezentrum schafft, kann man viele negative Punkte des Berufsbilds ausschalten.“

Ansatz 6: Die AOK versucht auch, mit speziellen Programmen nachzuhelfen. Die „Hausarzt zentrierte Versorgung“ (HzV) etwa soll die Rolle der Hausärzte stärken, indem beispielsweise die Patienten erst zum Hausarzt gehen und von ihm dann zu einem Facharzt überwiesen werden. In Horb gibt es fünf HzV-Ärzte und einen -Kinderarzt, im Landkreis 42 solcher Ärzte und zwei Kinderärzte. Ein ähnliches Programm existiert auch für Fachärzte, in Horb sind es sechs, im Landkreis 17 Vertrags-Fachärzte.

Ansatz 7: Ein weiteres Programm, an dem sich die AOK beteiligt, nennt sich „Verah“ (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis). Durch eine Zusatzausbildung für Medizinische Fachangestellte sollen die Hausärzte entlastet werden. Insbesondere Hausbesuche zum Blutdruck messen, Insulin spritzen oder Verbände wechseln können die „Verahs“ übernehmen. „Das unterstützen wir, indem wir die Ausbildung refinanzieren und die Autos mitfinanzieren“, sagt Keller. In Horb gibt es fünf „Verahs“, im Landkreis 34.

Siehe auch „Zahlen und Fakten zur AOK“

AOK-Geschäftsführer Hartmut Keller im Profil

Hartmut Keller (55) ist gelernter Sozialversicherungs-Angestellter. Seit knapp neun Jahren arbeitet er bei der AOK Nordschwarzwald, zunächst als stellvertretender Geschäftsführer, seit drei Jahren als Geschäftsführer. Keller ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Heilbronn. Privat dribbelt der einstige Oberliga-Flügelspieler noch einmal pro Woche übers Basketball-Feld und bereitet sich zudem gerade auf einen Halbmarathon vor.

Sechs kurze Fragen an Hartmut Keller:

Berge oder Meer?

Meer. Ich gehe aber auch mal wandern.

Golf oder Tennis?

Gar nichts. Das ist nicht meine Welt.

Kino oder Konzert?

Kino.

Kässpätzle oder Kaviar?

Kässpätzle.

Bayern oder Borussia?

Mönchengladbach, 1900, VfL!

Hund oder Katze?

Hund, Mischling, 9 Jahre alt, läuft noch 14 Kilometer mit mir mit.