Empathische Spurensuche

ARD zeigt die Spielfilmtrilogie „Mitten in Deutschland: NSU“

Auch über vier Jahre nach dem Tod Uwe Böhnhardts und Uwe Mundlos sowie der Verhaftung Beate Zschäpes sind in der Causa NSU noch viele Fragen offen. Die ARD versucht nun eine filmische Rekonstruktion.

30.03.2016

Von CHRISTIAN NICK

Eine fatale Dreierbeziehung, die in die schwersten rechtsradikalen Verbrechen der bundesdeutschen Geschichte münden wird: Beate Zschäpe (Anna Maria Mühe), Uwe Mundlos (Albrecht Schuch) und Uwe Böhnhardt (Sebastian Urzendowsky). Foto: ARD

Eine fatale Dreierbeziehung, die in die schwersten rechtsradikalen Verbrechen der bundesdeutschen Geschichte münden wird: Beate Zschäpe (Anna Maria Mühe), Uwe Mundlos (Albrecht Schuch) und Uwe Böhnhardt (Sebastian Urzendowsky). Foto: ARD

Berlin. Soll man eine Verbrechensserie medial verarbeiten, ehe die justizielle und parlamentarische Aufarbeitung abgeschlossen ist? Darf man sich mutmaßlichen Mehrfachmördern annähern, als seien sie die eigenen Klassenkameraden gewesen? Ja, sagen die Macher des Filmprojektes „Mitten in Deutschland: NSU“ unter Ägide der Produzentin und Historikerin Gabriela Sperl.

Die drei von unterschiedlichen Regisseuren gedrehten Spielfilme und die abschließende Dokumentation erzählen multiperspektivisch die Geschichte eines Deutschlands, das eine neonazistische Terrorgruppe hervorbrachte, deren Verbrechen lange nicht erkannt oder gar durch geheimdienstliche Strukturen gefördert hat - und in dem eine vollumfängliche Aufklärung bis heute nicht stattfand.

Der erste Teil der fiktionalisierten und doch mit akribischen sowie detailgenauen Recherchen an die Fakten gebundenen Reihe nimmt den Zuschauer mit ins Thüringen der Wendezeit, wo er Beate Zschäpe (Anna Maria Mühe), Uwe Mundlos (Albrecht Schuch) und Uwe Böhnhardt (Sebastian Urzendowsky) kennenlernt. Und zwar als Menschen.

Der Film von Christian Schwochow kommt weitgehend ohne moralische Verurteilung daher. Er beackert den Nährboden, auf dem die Saat der Radikalisierung des Trios aufgehen konnte: Mit dem Untergang der DDR sind über Nacht Lebenskonzepte und Werthaltungen obsolet geworden; es folgt eine Zeit, in der Politiker versprechen, aus grauem Beton „blühende Landschaften“ zu machen - aber auch Sätze sagen wie „Das Boot ist voll“.

Anna Maria Mühe spielt überzeugend eine orientierungslose Beate Zschäpe, die über ihren Cousin die zwei Uwes kennenlernt, welche bei ihr mit Parolen punkten, wie man sie auch heuer wieder vermehrt vernehmen muss: „Die Asylanten bekommen alles in Arsch geblasen, und wir haben nicht mal ne Lehre.“ Bald marschiert sie auf der Straße mit, verstrickt sich in die Szene, die verhängnisvolle Dreierbeziehung und in die Aktionen, die das Trio schließlich in den Untergrund abtauchen lassen. Den folgenden mörderischen Blutrausch deutet der Film nur an. Er endet im Jahr 1998.

Der zweite Teil der Trilogie widmet sich denen, die lange Jahre kein Gehör fanden: Er versetzt das Publikum exemplarisch für das Leid der Familien aller zehn Mordopfer in die Perspektive der Familie Simsek. Enver Simsek war der erste Mensch, den die NSU-Terroristen im September 2000 an seinem mobilen Blumenstand in Nürnberg erschossen.

Der Beitrag von Regisseur Züli Aladag ist die Verfilmung des Buches von Tochter Semiya Simsek, die das Team im Wohnzimmer der Familie drehen ließ. Er schildert in bedrückend eindringlichen Szenen, wie eine leidgeprüfte Familie durch die Polizei verdächtigt, gedemütigt, abgehört und kriminalisiert wird, während die Ermittler beharrlich sämtliche Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund ignorieren - und auch bei den folgenden Mordtaten nur Repräsentanten der türkischen Mafia am Werk sehen wollen. Jahrelang.

Der zwielichtigen Rolle staatlicher Behörden im Fall des NSU widmet sich der dritte Spielfilm. Er setzt mit dem Abtauchen des Thüringer Trios ein. Die LKA-Ermittler stoßen bei der Fahndung bald auf unerwartete Widerstände: Schnell wird deutlich, wie aktiv der Verfassungsschutz in der rechten Szene agiert; V-Männer installiert, um das Milieu unter Kontrolle zu behalten- und dabei hilft, Strukturen aufzubauen, die rasch außer Kontrolle geraten. Das Werk von Regisseur Florian Cossen nimmt Behördenversagen, institutionellen Rassismus und die dubiose Rolle der Geheimdienste in den Blick.

Auch der dritte Teil leistet überzeugend, was sich die Produzentin Sperl von der Reihe verspricht: „Wir erzählen eine deutsche Geschichte, wir werfen Fragen auf.“

Drei Spielfilme, eine Doku

Auftakt Der erste Teil („Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“) läuft am Mittwoch um 20.15 Uhr in der ARD. Teil zwei mit dem Titel „Die Opfer – Vergesst mich nicht“ folgt am Montag, 4. April, 20.15 Uhr. Der dritte Spielfilm („Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“) wird am Mittwoch, 6. April, ebenfalls um 20.15 Uhr gesendet. Anschließend zeigt die ARD die Dokumentation „Der NSU-Komplex“. cn